Die fünf (un)moralischen Prinzipien des Wladimir Putin- wie mit Putin verhandeln?

Artikel: veröffentlicht 2014 in der Huffington Post. Die Aussagen gelten im Jahre 2022 unvermindert weiter.

Wie tickt Putin moralisch – dürfen wir ihm trauen?

Gerade gibt es den Waffenstillstand in der Ukraine, da hält die Welt wieder den Atem an. Russland droht dem Westen mit Überflugverbot. Wer dennoch fliegt, wird abgeschossen? Putin spielt wieder mit der Angst der Menschen. Und da wird noch viel kommen, fürchten die Experten.

Die grundsätzliche Frage an die russische Politik lautet also: Ist die Gefahr eines Krieges mit Russland durch Verträge zu bannen oder ist alles nur eine Kriegslist Putins, der weiter vom Großen Reich Russland träumt? Das allgemeine Gewaltverbot, ein Grundprinzip der UN-Charta (1945 von der Sowjetunion unterzeichnet), welches militärische Gewaltanwendung anderen Staaten gegenüber verbietet, scheint ihm völlig gleichgültig zu sein.

Müssen wir nun wieder Milliarden in ein Wettrüsten stecken, um einen aggressiven Imperialisten zu stoppen?

Wir können uns das eigentlich nicht leisten. Wir brauchen diese Ressourcen, um die objektiv wichtigen Fragen anzugehen, wie die Umweltkrise und die Armut und Überbevölkerung, verbunden mit ihren politischen Auswirkungen, die uns z.B. im politisch/ religiösen Terrorismus begegnen.

Putins Handlungsmuster Nr. 1: Stark sein – Chef sein

Putins Handlungsmuster weisen im Laufe seines Lebens ein einheitliches Muster auf. Er entscheidet sich immer für die Stärke. Er erstrebt nicht die moralische Überlegenheit (Gandhi), sondern die Macht. Als kleiner Junge, kleinwüchsig und schwach, trainiert er seinen Körper solange, bis er Bandenchef ist. Mit 15 Jahren wird ihm beim Boxen die Nase zertrümmert, Putin macht weiter. Heute besitzt er hohe Judograde, beherrscht verschiedenste Arten des Kampfsportes und die öffentliche Meinung in Russland. Sich und andere zu beherrschen ist ihm wichtig. Kommunikation auf Augenhöhe, bei Putin unbekannt.

Putins Handlungsmuster Nr. 2: Unterordnung

Putin ordnet sich unter -wo nötig – und er verlangt Unterordnung. Als Jugendlicher wird er Parteimitglied und schon in Alter von 15 Jahren will er zum KGB. Er folgt dem Ratschlag des KGB, Jura zu studieren und Deutsch zu lernen. Er lässt sich als KGB Offizier in die graue DDR schicken, obwohl er vom „under cover Einsatz“ im Westen träumt. Er macht einen „hervorragenden Job“ als KGB-Offizier.

Aber er erwartet auch Unterordnung. Wer es wagt, gegen den Strom zu schwimmen, gegen ihn zu opponieren, wird hart bestraft. Werden aus Weggenossen Feinde, zahlen sie mit der Freiheit. Der Oligarch Michail Chodorkowski saß zehn Jahre in Haft, der Oligarch Boris Beresowski zahlte 2013 in London mit dem Leben. 31 opponierende Journalisten wurden in der Zeit seiner Herrschaft ab dem Jahre 2000 ermordet. Das bekannteste Opfer ist Anna Politkowskaja. Sie wurde am 7. Oktober 2006, am Geburtstag Putins, vor ihrer Wohnung in Moskau durch mehrere Schüsse getötet. Freunden gegenüber ist Putin loyal, solange sie es auch sind. Es heißt, nie habe er einen Freund verraten.

Die Frage lautet, sind wir bereit, um der Ruhe willen, in einer „Pax Russia“ oder im „ Homeland Putin“ zu leben (Unterordnung). Unsere Vorstellungen von Freiheit und Individualität sind mit dem Reich Putins nicht vereinbar.

Putins Handlungsmuster Nr. 3: Moral ist kein Selbstzweck, sondern muss Interessen dienen und funktionieren

Putin wuchs im real existierenden Sozialismus auf. Dort herrschte die „sozialistische Ethik“. Gegenüber dem Feind im Inneren und Äußeren (dem Westen z.B.) war alles erlaubt, was dem Sieg des Sozialismus diente. Verträge mit dem Klassenfeind zu schließen oder zu brechen galt als Kriegslist.

In der kommunistischen Organisation machte er Karriere als KGB-Offizier. Dort rechtfertigte die „moralische Überlegenheit des Sozialismus gegenüber dem Klassenfeind“ praktisch jedes Tun, wenn es denn der Sache des Sozialismus diente.

Als Putin in den letzten Tagen der DDR mit Bürgerechtlern vor den Toren der Kaserne diskutierte und nicht mehr weiterkam, befahl er (Major der Roten Armee) Panzer aus der Kaserne herbei, die dann nicht kamen (Befehl von weiter oben). Putin war darüber so schwer enttäuscht, dass er sein Parteibuch in die Schublade legte, wo es seitdem ruht, sagt Putin selbst.

Heute ersetzt der Staat die ehemals allmächtige kommunistische Partei. Das „Vaterland“ ist ethischer Maßstab geworden. Putin kann damit gut leben. Er hat seine alten Freunde aus dem KGB reaktiviert. Die Ziele haben sich geändert: Vaterland statt Sozialismus, Staat statt Partei. Die Handlungsmuster aber sind geblieben,Terror, wo es ihm „nötig“ erscheint. Das Grundprinzip der Vereinten Nationen, das Allgemeine Gewaltverbot, welches militärische Gewaltanwendung anderen Staaten gegenüber verbietet, ein Grundprinzip der UN-Charta, scheint ihm völlig gleichgültig zu sein.

Der Westen darf bei Putin im politischen Denken nicht auf universale Moralvorstellungen hoffen.

Putins Handlungsmuster Nr. 4: persönliche Erlebnisse können bestehend Wertvorstellungen erschüttern, aber …

Im Jahre 1990 hat Putin ein „Glaubenserlebnis“. Seine Datscha brennt und Putin kommt dabei fast in den Flammen um. Er entdeckt die Religion wieder und wird Mitglied der russisch orthodoxen Kirche Russlands. Bilder zeigen ihn fortan in Kirchen, er bekreuzigt sich öffentlich, zündet dort Kerzen an für den Frieden.

Doch auch diese moralische „Selbst-Bindung“ ist eher funktional. Die orthodoxe Kirche Russlands wird im neuen Russland zur gewaltigen Macht. Ihr Patriarch, Kyrill I., und Putin sind eine enge politische Symbiose eingegangen. Der Patriarch empfiehlt seinen Gläubigen Putin zu wählen, Putin fördert die orthodoxe Kirche Russlands. Das Vertrauen geht so weit, dass Putin seine Lebensmittel aus dem Garten dieses Patriarchen bezieht. Der orthodoxe Patriarch der Ukraine, Filaret, nennt den russischen Präsidenten Wladimir Putin am 7.9.2014 dagegen einen „Lügner und Mörder“.

Die Tatsache, dass seine Mutter ihn als Kind taufen ließ und er seit 1990 wieder Mitglied der russisch- orthodoxen Kirche ist, hindert Putin aber nicht daran, sich im Juni 2013 von seiner Frau Ludmilla zu trennen, Gewalt zu befehlen, Kriege zu führen.

Putin sieht sich durch die moralischen Prinzipien der orthodoxen Kirche nicht limitiert. Man kann eher von einem „moralischen Bratkartoffel- Verhältnis“ sprechen. Das Prinzip der Nächstenliebe -in den meisten Religionen als ethisches Grundmotiv verankert- verlangt mehr als ein emotionales Gestimmtsein. Es fordert ein aktives und selbstloses Handeln gegenüber jedem „Nächsten“ der Hilfe braucht (nicht nur Russen).

Putins Handlungsmuster Nr.5: Image statt Wahrheit

Du sollst kein falsches Zeugnis ablegen, lautet eines der Grundprinzipien der christlichen Lehre. Putin hat einen riesigen Medien-Apparat geschaffen für seine Sicht der Dinge. Wer diese „gelenkte Wahrheit“ nicht teilt, hat mit Nachteilen (Ausgrenzung, Verletzung oder Tod) zu rechnen. Im August 2014 wurde der russische Journalist,Lew Schlosberg, brutal verletzt. Sein Vergehen, eine Berichterstattung über in der Ukraine gefallene und dort begrabene russische Soldaten.

Alexander Morosow, Chef des Moskauer Medien Forschungszentrums, erklärte im August 2014, der Kreml habe seine Propaganda auf dem Gedanken aufgebaut, die Unterstützung seiner Politik sei die moralisch einzig richtige Sache.

Fazit: Putin lebt in seiner eigenen (unmoralischen) Welt, jetzt sollten wir ihm nicht vertrauen

Kanzlerin Angela Merkel erklärte im Jahre 2014, Putin lebe in einer eigenen Welt. Nach geschätzten 35 Telefonsitzungen mit Putin und vielen Treffen mit ihm (Putin wurde im Jahre 2000 erstmals Präsident der Russischen Föderation) darf sie sich diese Meinung erlauben.

Wir stellen fest, Putins Handlungsmuster sind einfach. Putin lebt in einer autoritären Welt. Er akzeptiert Macht, wenn sie so stark ist, dass er sich ihr beugen muss. Putin möchte aber vor sich und den anderen gut dastehen. Er betrachtet sich selbst als guten Menschen, als Christen. Putin findet sich und seine Welt in den russischen Medien bestätig. Er lebt in einer konsonanten Welt, so nennen die Sozialpsychologen eine Welt der Stimmigkeit. Darauf dürfen wir vertrauen.

Es gibt zwei Möglichkeiten, „moralisch“ auf Putin Einfluss zu nehmen: (1) Eine stärkere Macht als Russland zwingt ihm Maßstäbe auf oder bringt ihn zur Akzeptanz allgemeiner Vorstellungen (UN-Charta z.B.) Das erfordert Einsicht von Seiten Putins oder Druck Dritter. (2) Die mediale Welt (auch Russlands) wendet sich so stark gegen ihn, dass er nachgibt (Protest der Zivilgesellschaft).

Und können wir Putin trauen, wenn er von Frieden redet? Putin lebt tatsächlich seine eigenen Vorstellungen vom Frieden. Frieden bezeichnet einen Zustand in der Beziehung zwischen Völkern und Staaten, der den Krieg zur Durchsetzung von Politik ausschließt. Russland ist aktiver Teilnehmer am Krieg in der Ukraine. Einer russischen Außenpolitik der heutigen Tage, geleitet vom Präsidenten Russlands, Wladimir Putin, ist (leider) nicht zu trauen.