Wie große Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern wollen und müssen durch interkulturelle Kompetenz. Beispiel: Paketdienste

 

Paket-Handel: das große Geschäft und große Probleme mit den Fahrern

Im Paket-Handel locken Riesengewinne, der Paket-Handel boomt. Wurden 2016 noch rund 3,1 Milliarden Pakete  und Päckchen ausgeliefert, so erwartet der Bundesverband Paket und Expresslogistik für 2021 noch einmal eine Milliarde Sendungen mehr. Immer öfter werden auch Lebensmittel, Möbel und Heimwerkerbedarf online bestellt. Aber der Konkurrenzkampf  wird härter, Transporteure unterbieten sich mit Dumpingpreisen und es fehlen LKW-Fahrer. Aktuell werden 45.000 LKW-Fahrer gesucht. Ohne die wird es die Riesengewinne nicht geben. Und es knirscht im Getriebe des Paket-Transportes.

Der Präsident des Deutschen Speditions- und Logistikverbandes (DSLV) Matthias Krage beklagte im Herbst 2017 einen „sehr schlechten persönlichen Umgang an den Be- und Entladungsrampen von Industrie und Handel und der Airlines“. Zu wenige wollten den Job machen, weil es zu wenig Geld gebe,  aber auch wegen eines „oft entwürdigenden Umgangs mit den Fahrern“, so der Verband. Das hat auch für den Verbraucher Folgen. Pakete bekommen die Wut der Fahrer ab, und auch die Empfänger der Pakete.

Optimierungsversuche durch interkulturelle Kompetenz

Onloading mitten im Ruhrgebiet. Einer der besten und größten Paket-Transporteure Deutschlands will den innerbetrieblichen Ablauf durch eine bessere Kommunikation optimieren und hat in den Alltag eingeladen. Onloading ist der schwierigste Teil im Alltag des Pakete-Transports. Innerhalb von zwei Stunden sollen die Pakete aus den Haushalten und großen Unternehmen in zentralen Depots nach Empfängern sortiert und auf kleine Lkw, meist Sprinter, verladen sein. Die Pakete sollen dabei schnell und sicher eingeladen werden.

Das Seminar  „Umgang mit Fahrern aus fremden Kulturen“ soll durch den Ausflug in den Alltag an Praxisnähe gewinnen. Der Kommunikations-Trainer steht nun um 6 Uhr morgens auf der Empore über vielen Fließbändern  und schaut hinein in eine Vielzahl von Gesichtern aus fremden Kulturen. Schon im ersten Seminar war von wütenden, meist ausländischen Fahrern die Rede gewesen, die ihre Wut an Paketen Lkw oder Mitarbeitern des Unternehmens auslassen. Die Stiftung Warentest traute 2014 hundert Pakete mit Glas und Porzellan fünf Versendern an. Die Pakete wurden durch ganz Deutschland verschickt. Das Ergebnis: Jede dritte Sendung war beschädigt.

Der Schichtleiter Jussef (Name geändert) hält die Hand hoch und grinst: „So viele kommen aus Deutschland“, sagt er. Der Rest, gemeint sind am diesem Morgen 150 Männer am Band und an der Laderampe, wo die Pakete sortiert und anschließend in kleine LKWs verladen werden, kommt aus der ganzen Welt. „Und wir brauche sie alle und noch mehr“, strahlt Jussef.  Die Branche aber wirbt sich gegenseitig Fahrer ab.

Gewinnen wird der den Kampf um die neuen Märkte, wer dem Kunden klar machen kann, dass die Pakete in seinen Händen und Wagen sicher vor Bruch sind und schnell ankommen, und wer genügend Fahrer hat, die bereit sind, für das Unternehmen zu fahren.

Interkulturelle Kommunikation: sozialer Frieden und Gewinn

„Und wir brauchen noch mehr Leute“, wiederholt Jussuf, der aus der Türkei stammt. Ohne mehr Fahrer/ Sortierer am Band und Angestellte an der Pforte und in der Verwaltung ist das neue Geschäft nicht zu machen.

Das wissen alle, aber es geschieht zu wenig für eine reibungslose Kommunikation zwischen all den Menschen aus fremden Kulturen. Das wird mir schnell klar, obwohl ich nur da bin, um den Ablaufprozess zu verstehen, so der Auftrag.

Ich stehe da und fühle mich wie ein Fisch im Wasser. Hier geht es wahrhaftig und fast immer konstruktiv interkulturell zu. Was sie alle eint, ist der Zeitdruck. In zwei Stunden sollen alle Pakete sortiert und verladen sein. Dann heißt es die Pakete heile an Mann oder Frau oder Unternehmen zu bringen.

Auf den ersten Blick läuft beim Onloading alles reibungslos. Am Band und an der Laderampe sehe ich Menschen aus Osteuropa (Polen, Russland, Rumänien und Bulgarien), aus der Türkei und der Arabische Welt und viele Afrikaner.

Dann aber sehe ich die ersten Pakete fliegen. Die Ursache: eine Sportverletzung (Überdehnung des Fußknöchels) ist nicht auskuriert. Der Mann am Band aus der Türkei aber muss ran, sein Subunternehmen hat ihn geschickt, er sei fit.  Der junge Mann aus der Türkei verkürzt die Wege nun, um seinen Fuß zu schonen durch leichten Paket-Wurf. Jussef aus der Türkei (Name geändert), der mich heute begleitet und Chef am Band ist, ist im Dilemma. „Alles okay?“, fragt er den Pakete-Werfer und der verspricht, keine Pakete mehr zu werfen. „Muss gehen“,  erklärt er tapfer, „krankschreiben geht gar nicht.“ Er verspricht keine Pakete mehr zu werfen. Jussef klopft ihm auf die Schulter. „Guter Mann“, sagt er, „ist seit Jahren hier beschäftigt.“  Zwei Gewinner, denke ich, gutes Konfliktmanagement.

Jussef und der Ingroup-Advantage

Bald aber ist der „Ingroup Advantage“ zu spüren, d.h. den eigenen Leuten wird mehr nachgesehen und der eigenen Gruppe werden schneller positive Eigenschaften zugeschrieben als Fremdgruppen.

Jussef kann gut mit Leuten aus seiner Region. Worte und Blicke sind von Respekt gekennzeichnet. Als ein junger türkische Mitarbeiter eine Zigarette beim Einladen zwischen den Lippen hält (Rauchen ist in der Halle und auf dem Lkw aus Sicherheitsgründen streng verboten), reicht es, dass Jussef  die Augenbrauen hochzuzieht. Saygi ist angesprochen, der Respekt, den jüngeren Menschen älteren entgegenzubringen haben  und dazu gehört auch, in ihrer Gegenwart nicht zu rauchen. „Geht doch gar nicht“, zischt Jusef empört, zieht die Augenbrauen hoch und die Zigarette ist verschwunden.

Jussef seufzt. „So ein Blödmann“ erklärt er, „wir haben ihn schon mal 14 Tag gesperrt über sein Unternehmen, aber wir brauchen eigentlich alle.“ „Kein Benehmen“, sagt er und schüttelt den Kopf.  In vielen Unternehmen des Paket-Handels sind die Mitarbeiter am Band und die Fahrer nicht mehr unmittelbare Angestellte des Unternehmens, sondern in Subunternehmern angestellt. Das verhindert nicht, dass  Jussef direkt Kritik am Verhalten eines Mitarbeiters äußern kann. Aber er hat keine direkten Sanktionsmöglichkeiten.

„Gehen wir zu den Russen“, sagt Jussef und seine Stimme ist angespannt. „Grigori, mein Freund“, ruft er in Richtung „Russen“ und Grigori schaut sportlich-finster, die Muskulatur ist angespannt, eine Putin-Kopie am Band. Einige der „Russen-Crew“ tragen die Pakete, manchmal  werfen sie diese auch sportlich. Jusef stöhnt. „So entsteht Bruch“, erklärt er finster. Und tatsächlich waren beim Test der Stiftung Warentest auch bei diesem Unternehmen 30 Prozent der Pakete aus Porzellan und Glas nach dem Transport Bruch.

Nun ist Jussef gefordert, er muss umschalten von arabisch /türkischer Welt auf Konflikt-Management und Körpersprache Russland, es gelingt ihm nicht so gut. Er hebt beide Hände in Verzweiflung und seufzt. Die russische Crew ignoriert ihn, und er geht weiter. „Muss mit deren Chef sprechen“, murmelt er. Alle Fahrer sind, wie gesagt, bei Subunternehmen angestellt und diese loszuwerden ist ganz einfach, ein Anruf genügt. Aber woher neue Fahrer bekommen?

Im Rücken von Jussef grinst die „Russen-Crew“ abfällig. „Könnte ich alle rausschmeißen“, zischt Jussef und so könnte es kommen. Besser aber wäre, Jussef würde im Seminar lernen, diesen Konflikt Kultur- und Personenkonform zu lösen. Jussef ist sauer und veranlasst besonders strenge Kontrollen der „Russen“ an der Pfrte. Auch keine Lösung.

Afrikaner am Band und auf dem LKW

Wir nähern uns einer Gruppe von Afrikanern, die eifrig Pakete vom Band nehmen und in Wagen einladen. Es herrscht eine ausgelassene Stimmung. Leichtfüßig, elegant und sorgsam werden die Pakete vom Band genommen, zwischengelagert und dann in die Wagen eingepackt. „Super“, sagt Jussef und grüßt mit einem freundlichen „Salam“ in die Runde. Das arabische Grußwort kommt gut an, 45 Prozent aller Afrikaner sind Muslime, kennen die Grundbegriffe der arabischen Sprache auch durch den Islam.

Ich stelle in einem Kurzinterview fest, dass die meisten aus dem islamisch geprägten Teil Nigerias kommen und noch nicht lange in Deutschland sind. „Boko Haram“, sagen sie und ich verstehe, es sind Flüchtlinge. Jussef  kommt gut mit ihnen klar.

Dann aber erleben wir „Trouble auf dem Hof“. Ein kleinwüchsiger Afrikaner hat seinen Sprinter fast in der Mitte des Hofes abgestellt, er behindert die Abfahrt der bereits fertig bepackten anderen Sprinter. Jussef ist sauer. „Ärger für nichts“, erklärt er mir, der Typ sei einfach schwierig, komme aus Togo. Schimpfend  fährt der Afrikaner aus dem Togo seinen Sprinter ein Stück zur Seite. Er schaut mich wütend an. „Was guckst du?“, fragt er mich, Jusef vermeidet den Blickkontakt zu ihm.

Unsere Zukunft liegt auch in Afrika und Jussef hat die richtige Einstellung.

„Wie ticken die Afrikaner?“, fragt Jussef mich. Ich beschäftige mich seit einiger Zeit damit, war im letzten Jahr zwei Mal in Afrika, um das besser zu verstehen. Ich habe bislang kein einziges gutes Buch zum Thema „Körpersprache  in Afrika“ gefunden, und die Gesellschaft Afrikas ist schwer zu verstehen. Die Menschen in Afrika ticken vielfach ganz anders als wir.

Und es werden viele Menschen in den nächsten Jahren aus Afrika kommen, z.B. als Flüchtlinge, schätzen Experten. Wir aber brauchen auch viele zusätzliche Arbeitskräfte, z.B. als Fahrer im Paket-Handel. Afrika ist somit eine mögliche Ressource.

Jussef will in das Seminar „Umgang mit Fahrern aus fremden Kulturen“ kommen und ich freue mich darauf. Er bringt die besten Voraussetzungen mit. Er ist an einer friedlichen Konfliktlösung interessiert und bereit zu lernen. So wird es die Branche Paket-Handel vielleicht schaffen, Gewinne zu erwirtschaften und den sozialen Frieden zu fördern. Ich bin gerne dabei. Dieses Unternehmen ist auf einem guten Weg.