Olaf Scholz 2021: ein Mann dreht auf und gewinnt

Der SPD-Kanzlerkandidat 2021- der neue Olaf Scholz 

Am 10. August 2020 hat der Parteivorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl 2021 nominiert. Mit ihm will die SPD so viele Wähler gewinnen, dass sie Ende 2021 den Kanzler stellen kann.

Das körpersprachliche Verhalten von Scholz hat sich seit der Kür zum Kanzler-Kandidaten sehr verändert. Aus dem „Scholzomat“, dem unaufgeregten Phrasendrescher mit wenig Gestik, wurde ein manchmal leidenschaftlich auftretender Politiker mit vielfältigen Gesten, passend zu engagierten Worten.

Die Rede am 8.12.2020 – Olaf Scholz und viele Gesten

Am 8.12.2020 spricht Olaf Scholz anlässlich einer Haushaltsdebatte zur Corona-Situation im Deutschen Bundestag, stellt dar, was die Bundesregierung für die Menschen leistet. Er verbindet die Botschaft mit seinen zwei Standard-Gesten, (1) der „Angebotsgeste“, der nach oben gerichteter, ausgestreckter Hand. Details präsentiert er (2) mit der „Präzisionsgeste“. Daumen und Mittelfinger der Hand berühren sich dabei und der Unterarm schüttelt die Hand (Barmixer Poser). Diese minimale Alltags-Körpersprache war früher sein Standard, so Video-Analysen. Diese zwei Gesten unterstreichen seine verbale Botschaft, die er mit fester, leicht heiserer Stimme vorträgt.

Ab der 47. Sekunde (von 5:39 Minuten) wird seine politische Botschaft gestenreicher. Wir müssen den Sozialstaat in dieser Krise ausbauen, lautet seine facettenreich vorgetragene Botschaft der folgenden Minuten. Er hebt dabei die ineinander verschränkten Hände vor die Brust und hämmert sie nach unten, die Muskeln des Oberkörpers sind dabei angespannt, er steht bei dieser Kraftgeste fest hinter dem Rednerpult.

Wenn er dann darlegt, welche wirtschaftlichen Aktionen erfolgt sind, betont die „Faust der Energie“ (Daumen über die Finger der Faust gelegt und in die Luft gestreckt) die konkreten Maßnahmen und seine Entschlossenheit.

Er fällt in der Rede immer wieder in die Scholz-Normal-Rhetorik der zwei Gesten zurück (Angebotshand und Präzisionsgeste). Das ist seine sichere und vertraute Basis. Dann aber aktiviert er körpersprachliche Kraftschübe. Ab der 1:40 Minute legt er dar, dass die Bundesregierung in weltweiter Kooperation tätig ist und viel Anerkennung erhält.

Er arbeitet dabei stark mit Handgesten. Er legt dabei die Hände zusammen, eine Hand umklammert die andere. Später legt er eine Hand leicht vor die andere. Er strahlt so körpersprachliche Gelassenheit und Energie aus. Menschen erwarten von Führungspersönlichkeiten in Krisen Ruhe, seine Gestik strahlt Beherrschung aus, innere Ruhe. Die berühmte „Raute-Geste“ von Angela Merkel funktioniert ähnlich. Dabei sind die Arme angewinkelt, die beiden Hände berühren sich leicht an den Fingerspitzen. Olaf Scholz verwendet diese Geste später auch.

Die Kanzlerin auf der Regierungsbank hört aufmerksam zu. Sie stimmt mit leichtem Liedschlag und kaum wahrnehmbarem Nicken zu, ihr berühmter Körpersprachen-Minimalismus. Saskia Esken, eine der beiden Parteivorsitzenden der SPD, nickt deutlich im Plenum mit dem Kopf.

Olaf Scholz steigert sich körpersprachlich, wenn er vor der Unterstützung der Bürger für die Politik der Regierung berichtet und dabei Fakten präsentiert. Er arbeitet viel mit der Geste „Faust der Energie“ (Daumen über die zur Faust geschlossen Hand gelegt) und betont damit seine Entschlossenheit. Olaf Scholz verwendet diese Geste in der zweiten Hälft der Rede sehr häufig.

Er verstärkt diese Gesten durch die modifizierte „Hackmesser-Geste“. Beide Hände werden dabei fast senkrecht gehalten, die Arme sind angewinkelt, es sieht aus, als hacke jemand leidenschaftlich Luft. Die „Hackmesser-Geste“ steht für leidenschaftliches Engagement. Olaf Scholz hält die Hände dabei in der Variante „Faust der Energie“. Zwischendurch ist kurz die Verbotshand zu sehen, die Hände sind dabei nach unten gewandt, dämpfen.

Das ist ganz große Körpersprachen-Kunst. Olaf Scholz wächst in den fünf Minuten Redezeit körpersprachlich über sich selbst hinaus. Die Frage ist erlaubt: Sind das spontane Eingebungen oder Resultate guten Coachings?

Rede am 12.12.2020 beim SPD Debattencamp

Am 12.12 2020, beim SPD-Debattencamp, verhält sich Olaf Scholz in seiner Körpersprache ähnlich. Wieder geht es inhaltlich meist um Corona. Dieses Mal ist er unaufgeregter, es ist ein Heimspiel, es ist eine digitale SPD-Werbeveranstaltung, Olaf Scholz steht auf einer SPD-Bühne. Seine Muskulatur ist entspannter, seine Atmung ist ruhiger, die Stimme ist leicht heiser, moduliert mehr.

Er fügt eine neue Geste seinem Repertoire hinzu, die „Pistole“. Eine Sache sei ihm sehr wichtig, sagt er und deutet mit dem Zeigefinder kurz nach vorne. Diese Geste nutzt er in der Rede insgesamt nur zaghaft, zögerlich. Häufig setzt er wieder die „Fäuste der Energie“ ein, einzeln oder zusammengelegt.

Olaf Scholz arbeitet hier mit einer Akzeptanz-Strategie, er ist im Wahlkampf, er will gefallen. Bei dieser Rede schrägt er den Kopf leicht an, zeigt die „Demutsgeste“, als er nach sechs von 28 Minuten Redezeit ganz in seinem Element ist. Die „Demutsgeste“ ist ein Signal der Unterwerfung, eine Beschwichtigungsgeste, gilt als das Gegenteil eines Imponier Verhaltens.

Aufzählungen der SPD-Angebote werden körpersprachlich verstärkt durch abwechselnd nach links und rechts geschwenkte Arme, „die Abwägungsgeste“. Verständnis für andere Positionen wird so signalisiert und differenziertes Denken. Olaf Scholz lehnt sich beim Sprechen leicht nach vorne. Seine mit Worten vorgetragene Bereitschaf, sich zu kümmern, wird körpersprachlich verdeutlicht. Er sagt „Wir“ und legt dabei beide Hände vor die Brust. „Ehrlich“ heißt diese Geste, die in der Regel mit nur einer Hand durchgeführt wird.

Sprachlich gelingt es ihm, Pausen zu setzen, Spannung so aufzubauen. Aber sein Tempo ist zu schnell, das Feuerwerk ist inszeniert, wenngleich gut. Ich sehe ihn vor meinem geistigen Auge vom Teleprompter ablesen, Worte und Körpersprache wirken programmiert.

Dieser Olaf Scholz unterscheidet sich stark vom Olaf Scholz der Vor-Kanzler-Kandidat-Zeit, ist bei der Wort- und Körpersprache engagierter, manchmal für hanseatische Verhältnisse gar leidenschaftlich. Ist er aber auch authentisch und für Wähler in seinem Neuauftritt glaubwürdig?

Olaf Scholz in der Vor-Kanzler-Kandidat-Zeit: Scholzomat und „frozen Scholz“

Wer in den Medien vor dem 20.8.2020 nach Erfahrungen Dritter sucht zum Thema „Olaf Scholz und Körpersprache“, der findet wenig, abgesehen von lapidaren Bemerkungen. Er gelte als wenig emotionaler Pragmatiker mit verschmitztem Lächeln, schreibt „Der Westen“ am 20.11.2019. Zwei Artikel beschäftigen sich ausführlicher mit Olaf Scholz und der Körpersprache, spöttisch bis boshaft im Tenor.

Ein Artikel von Ingo Arend aus dem Jahre 2011 trägt die Überschrift: „Ein Mann macht dicht“, erschienen in der Zeitschrift „Ästhetik und Demokratie“. Nach wilden Juso-Zeiten sei Olaf Scholz in dreißig finessenreichen Jahren auf das für den sozialistischen Nachwuchs vorgesehene Format geschrumpft. Ein Kiesel im Malstrom der Demokratie. Der berüchtigte „Scholzomat“ eben. Seine Sätze kämen aus einer rhetorischen Stanze. Scholz habe sich selbst „unter totaler Kontrolle und alle juristischen Regularien sofort bei der Hand“. Man glaube ihm den Satz: “In Hamburg habe ich mich unsterblich in meine Frau verliebt” wenig. Glaubwürdiger sei eine Geste, sich vor allzu neugierigen Reportern zu schützen. Er drehe dann das schusssichere Seitenfenster seines Dienstwagens nach oben. Ingo Arend: „Kurzum: Ein Mann wie sein eigener Dienstwagen.“

Ein weiterer Artikel aus dem Jahre 2018, erschienen im Zeitmagazin 41/2018, Autor David Hugendick“, nennt Olaf Scholz „Frozen Scholz“. Wenn alle sich politisch aufregten, dann stehe Scholz einfach gravitätisch allein am Rand, als warte er auf niemanden, das sei Coolness.

Und dann gibt es Olaf Scholz noch „off-stage“, also hinter der Bühne. Aber höchstens noch bei Hintergrundgesprächen unter vier Augen erlaube er sich ein „ironisches Glucksen“, wird aus dieser Zeit berichtet.

Seine Körpersprache damals ist minimal. Zwei Gesten, die „Angebots- und Präzisionsgeste“, dominieren seine Auftritte. Sein körpersprachlicher Auftritt damals ist somit suboptimal.

Fazit: Wenig Zeit für den neuen Olaf Scholz

Ein Volkstribun solle volksnah sein, verlangt Steffan Vera, ein Meister der Körpersprache aus Österreich, vom Volks-Politiker. Wer für das Volk sprechen wolle, der sollte sich körpersprachlich auch volkstümlich geben.

Olaf Scholz hatte bis zur Wahl im September 2021 wenig Zeit, das Volk davon zu überzeugen, dass er nun mit Leib und Seele, Wort und Körper ein leidenschaftlicher Sozialdemokrat geworden sei. Durchgestylte Reden und eine lebhaftere Körpersprache kontrastierten mit der „Scholzomat-Erfahrung“ langer Jahre.

Die Corona-Krise habe Olaf Scholtz verändert, sagen einige. Olaf Scholz ist jedenfalls seit seiner Kür zur Kanzler-Kandidatur bei seinen Medien-Auftritten merklich entspannter und „bei sich zu Hause“. Das ist körpersprachlich von Vorteil, es lässt ihn authentischer und sympathischer erscheinen.

Seine neue und veränderte Performance lohnte sich. Olaf Scholz ist seit dem 8. Dezember 2012 der neunte Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Die SPD wurde mit 25.7 Prozent die stärkste Partei im Bundestag.