Was tun, wenn der Reichsbürger kommt?

I. Die Lage: wie viele Reichsbürger gibt es und wie gefährlich sind sie?

1. Reichsbürger: erst wenige und kauzig, heute viele und brandgefährlich

Für den normalen Bürger schienen Reichsbürger anfangs eher keine Gefahr zu sein. Reichsbürger erschienen Außenstehenden eher verschroben und kauzig. Das änderte sich im Laufe der Jahre. Der Verfassungsschutz setzt die Reichsbürger heute in die Nähe einer terroristischen Vereinigung. Der Verfassungsschutz erklärte 2023: Die Zahl der Reichsbürger steigt an. Im Jahr 2023 werden der Szene der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ deutschlandweit etwa 33.000 Reichsbürger zugeordnet. 23.000 waren es im Jahre 2021. 1.250 von ihnen, also etwas mehr als fünf Prozent davon galten als Rechtsextremisten. Das gewaltorientierte Personenpotenzial der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ umfasste 2021 2.100 (2020: 2.000) Personen. Dazu zählen gewalttätige Szeneangehörige sowie Personen, die beispielsweise durch Drohungen oder gewaltbefürwortende Äußerungen und entsprechende ideologische Bezüge auffallen.

2. Der Tag X:  Umsturz und Gewalt

Laut Verfassungsschutz (2018) planten bereits einige Reichsbürger den Tag X.  Dieser Tag schien im Dezember 2022 gekommen zu sei. „Im Dezember gingen Ermittler mit einer Großrazzia gegen „Reichsbürger“ vor, die Umsturzpläne gehabt haben sollen. Jetzt äußert sich der BGH, wie konkret die Gefahr tatsächlich war.
Mutmaßliche Führungsmitglieder der „Reichsbürger“-Gruppierung, die bei einer Großrazzia im Dezember aufgeflogen war, sollen Pläne für einen gewaltsamen Sturm auf den Bundestag gehabt haben. Dafür seien sie „bereits in konkrete Vorbereitungshandlungen eingetreten“, heißt es in einem Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH).  Ein Kommando von bis zu 16 Personen habe Regierungsmitglieder und Abgeordnete in Handschellen abführen sollen, schreiben die Richter unter Verweis auf den Ermittlungsstand. Einer der in Untersuchungshaft sitzenden Beschuldigten hatte demnach in Berlin schon die Örtlichkeiten ausgekundschaftet, Fotos gemacht und eine Namensliste von Politikern, Journalisten und anderen Personen des öffentlichen Lebens erstellt. Die ebenfalls festgenommene frühere AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann habe „verschiedene Mitglieder der Vereinigung über Anwesenheitszeiten von Abgeordneten und Regierungsmitgliedern“ informiert. Außerdem habe sie geplant, das Reichstagsgebäude gemeinsam mit einem anderen Beschuldigten zu betreten.

Bei der Razzia am 7. Dezember 2022 waren 25 Männer und Frauen festgenommen worden, von denen zuletzt noch 23 in U-Haft waren. Die Bundesanwaltschaft führt in dem Komplex inzwischen 61 Personen als Beschuldigte. Sie sieht in der Gruppe eine Terrorvereinigung, die das politische System in Deutschland stürzen wollte. Nach früheren Angaben der Bundesanwaltschaft sollte die Gruppe „spätestens seit Ende November des Jahres 2021 mit sich seitdem immer weiter in ihrer Intensität steigernden Vorbereitungen begonnen“ haben. Zentrales Gremium war demnach ein „Rat“, der mit unterschiedlichen Ressorts einem Regierungskabinett nachempfunden war. Daneben soll ein „militärischer Arm“ für die geplante Machtübernahme mit Waffengewalt zuständig gewesen sein. Die Bundesanwaltschaft hatte im Dezember auch mitgeteilt, dass der Verdacht bestehe, dass „einzelne Mitglieder der Vereinigung konkrete Vorbereitungen getroffen haben, mit einer kleinen bewaffneten Gruppe gewaltsam in den Deutschen Bundestag einzudringen“. Die Einzelheiten seien noch aufzuklären.

II. Der Kunde Reichsbürger: von schwierig bis gefährlich

1. Der Kunde Reichsbürger – ein Profil

Der typische Reichsbürger ist, so der Verfassungsschutz, männlich, über 50, sozial isoliert und überschuldet. Erst spät – meist nach dem 50. Lebensjahr – tritt er der Gruppe bei und wird sie wahrscheinlich zu Lebzeiten nicht mehr verlassen. Der Reichsbürger-Experte Jan Rathje spricht vom biographischen Bruch als Start der Reichsbürger-Karriere. Und je intensiver sich der Staat mit all seinen Organen mit den Reichsbürgern beschäftigte, umso mehr wurden gezählt, umso mehr Waffen wurden ihnen zugeordnet. Es ist somit wichtig für die heutigen Primär-Kontakt-Personen der Reichsbürger, die Mitarbeiter/innen von Kommunen und Gerichten, erkennen zu können, wann ein Reichsbürger schwierig ist, wann er gefährlich wird, um dann zu wissen, was zu tun ist. Zur Gefährlichkeit einer Gruppe zählt auch die Bereitschaft einzelner aktiv zu werden. Die Gefahr der sich selbst radikalisierenden Menschen ist vorhanden, wie auch die Gefahr der Gewalt-Dynamik innerhalb der Kommunikation der selbsternannten Reichsbürger.

2. Reichsbürger in Kommune und Unternehmen, ein Schrecken für die Mitarbeiter/innen

Treten Reichsbürger in der Kommune und in Unternehmen auf, schrillen in den Köpfen vieler Mitarbeiter/innen die Alarmsirenen. Reichsbürger sind nicht immer einfach zu erkennen. Sind sie vor Ort tätig, wird es meist nervig, manchmal auch gefährlich. Reichsbürger haben auf Polizisten geschossen und einen sogar erschossen. Reichsbürger haben einen Gerichtsvollzieher „festgenommen“. „Reichsbürger-Polizisten“ haben ihm Handschellen angelegt. Erst die richtige Polizei konnte ihn befreien. Schon 2017 warnte Generalbundesanwalt Peter Frauk, Teile der Reichsbürgerbewegung seien brandgefährlich, womöglich habe sich bereits eine terroristische Zelle herausgebildet. Kommunen lassen ihre Mitarbeiter/innen in der rechtlichen Argumentation mit Reichsbürgern trainieren. Doch Reichsbürger sind an einer ernsthaften Rechtsdiskussion gar nicht interessiert. Es geht Reichsbürgern um die Durchsetzung ihrer Gedankenwelt, die Abreaktion von Ohnmachtsgefühlen und den Aufbau einer Gegenwelt. Weil die Zahl der Reichsbürger zunimmt, lohnt sich ein genauerer Blick auf das Auftreten von Reichsbürger in Kommunen und Unternehmen und wie wir uns dann verhalten sollten.

III. Der Umgang mit dem schwierigen und gefährlichen Reichsbürger

1. Das Auftreten schwieriger  Reichsbürger

Tritt der Reichsbürger auf, beginnt es meist harmlos. Es braucht länger, um den kritischen Bürger vom Querulanten oder Reichsbürger zu unterscheiden. Der kritische Bürger will es genau wissen, mitdenken und nicht Untertan sein. Der Querulant sucht Ärger, meist um sich in seinem negativen Selbstbild selbst zu bestätigen. Er arbeitet sich an einem Psychospiel ab („Keiner hat mich wirklich lieb.“) und erlangt in seiner Ablehnung als Person eine negative Sicherheit.

Das Auftreten der Reichsbürger in der Verwaltung und in Unternehmen zeigt kein einheitliches Bild. Mache Reichsbürger wollen die Verwaltung/Unternehmen lahmlegen und das mit den Methoden der Übergenauigkeit, der scheinbaren juristischen Formvollendung. Sie schreiben Text, die mit juristischen Formulierungen gespickt sind, inhaltlich aber keinen Sinn machen. Von Stil her scheinen sie den Schreibstuben des Deutschen Reiches zur Bismarck-Zeit zu entstammen. Mitarbeiter/innen stehen diesen Texten vielfach hilflos gegenüber. Im November 2022 wurde 61-Jährige aus der „Reichsbürger”-Szene wegen des Verwendens und Verbreitens von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen, Volksverhetzung und Missbrauchs von Berufsbezeichnungen zu drei Jahren Haft verurteil. Sie hatte sich als Rechtsanwältin ausgegeben und entsprechende Schreiben verfasst.

Fälle aus dem Alltagsleben der Verwaltung zeigen Reichsbürger in Aktion. Bei Angaben zur Person im Bürgeramt bestehen manche darauf, nicht „Deutsch“ hinzuschreiben, sondern „Deutscher“. Es heißt, man sei von Natur aus deutsch. Mancher Reichsbürger versucht, seinen Auftritt mit dem Handy zu filmen. Gerne will er auch die persönlichen Daten der Mitarbeiter/innen erfahren (Adresse, Telefonnummer, etc.), um sie zu verklagen, wenn sie nicht kooperiert, so die Worte. Spätestens wenn dann von Deutschland als „BRD GmbH“ die Rede ist, wird klar, dass ein Reichsbürger vor Ort ist. Eine Landrätin hat für die Mitarbeiter/innen ihres Kreises eine Rechtsschutzversicherung gegen Reichsbürger abgeschlossen, um ihre Mitarbeiter/innen gegen prozessuale Verfolgungen durch Reichsbürger abzusichern.

Manchmal ist das Auftreten der Reichsbürger laut und heftig, Mahnmal auch leise und unscheinbar. Die aktuelle Praxis zeigt eine neue Strategie. Reichsbürger erscheinen mit banalen Anliegen (Sachebene) in Verwaltung/ Unternehmen. Sie versuchen mit gefälligem Auftreten eine gute Stimmung zu erarbeiten (Beziehungsebene). Ist das Anliegen geklärt, beginnt die Werbephase. Die Mitarbeiter/innen haben dann Not, die Reichsbürger „loszuwerden“, ohne unhöflich zu werden.  Aus einem zehn Minuten-Kundengespräch wird dann ein „Propaganda-Gespräch“ von mindestens zwanzig Minuten.

Treten kommunal-behördliche Mitarbeiter/innen im Außendienst auf, prüfen Reichsbürger gerne amtliche Dokumente. Es geht dabei darum, Formfehler zu finden, und Reichsbürger findet immer welche. Es gibt Seminare von Reichsbürgern für Reichsbürger zu diesem Zweck, sogar eine Hotline-Beratung. Deren gemeinsames Ziel besteht nur in einem, Ärger machen. Viele Reichsbürger-Ratgeber raten deshalb, die Gespräche mit den Reichsbürgern erst gar nicht zu führen und sich keineswegs in eine Diskussion verwickeln zu lassen.

Alltag im Kontakt mit dem Reichsbügern-Kunden ist, dass aus einem bürokratischen Vorgang von maximal zehn Minuten, wie dem Erstellen einer Urkunde im Standesamt oder dem Antrag auf Erstellung eines Passes im Bürgeramt gerne sechzig Minuten oder mehr werden. Endet diese Inszenierung im Inferno einer in Nichts begründeten Dienstaufsichtsbeschwerde oder der Androhung eines privaten Hausbesuches, sind die Mitarbeiter/innen von Behörden vielfach hilflos und verängstigt. Das Reichsbürger-Ziel aber ist erreicht, er hat in seinen Augen den Unrechtsstaat enttarnt. So entstandene Video werden dann ins Netz gestellt, egal was passiert. Aber: Mitarbeiter/innen von Behörden haben – statistisch gesehen – eine gute Chance, niemals einem dieser schwierigen „Wahn-Bürger“ zu begegnen. 900 Reichsbürger soll es z.B. im Jahre 2023 in Niedersachsen (8 Mio. Einwohner) geben. Fünf Prozent (45) gelten als rechtsradikal.

Viele Sozialwissenschaftler und Verfassungsschützer raten von der Diskussion mit Reichsbürgern grundsätzlich ab. Sie seien in ihrer Wahn-Welt nicht mehr erreichbar, reagierten vielfach sogar aggressiv bei kritischen Fragen.

2. Der Umgang mit schwierigen und gefährlichen Reichsbürgern

Besteht bei einem Kunden-Kontakt ein Reichsbürger-Verdacht, hilft die „Blitzanalyse“, um Klarheit zu schaffen. Erkennbar ist der schwierige Reichsbürger an der Wahl seiner Worte und am Aufbau des Gesprächs. Mitarbeiter/innen können den Reichsbürger am „Reichsbürger-Deutsch“ erkennen. Der Aufbau des Gesprächs ist eine geplante, langsame Eskalation, gekoppelt mit dem Versuch, bei einigen Mitarbeiter/innen ein Wir-Gefühl anzusprechen. In dieser Phase ist dem Reichsbürger mit der konsequenten Anwendung von Techniken der Gesprächsführung auch am Telefon und einer adäquaten Körpersprache beizukommen. Der Reichsbürger, mental meist kollektiv-autoritär strukturiert, braucht eine deutliche Ansprache. Mit einigen Übungen ist dieses Ziel schnell zu erreichen.

Aus schwierigen Kunden können auch gefährliche Kunden werden, das gilt auch für Reichsbürger. Mitarbeiter/innen sollten darin geschult sein, die drei Eskalations-Stufen der Gewalt zu erkennen (Kränkung, Antipathie, Permissivität von Gewalt). Sie sollten körpersprachlich gefährliche Kunden erkennen können und dann im Stand sein, richtig zu reagieren. Mitarbeiter/innen sollten Techniken der Gesprächsführung kennen, die uns aus Notsituationen heraushelfen. Sie sollen wissen/lernen wie man geschickt deeskaliert und bei all dem ruhig bleibt. Diese Verhaltensweisen müssen so intensiv gelernt und trainiert werden, dass sie in Gefahrensituationen als automatisiertes Handeln angewendet werden können.

Dieses Wissen um das richtige Verhalten bei schwierigen und gefährlichen Kunden in Deutschland sehr knapp, die Angst vor solchen Gefahrensituationen sehr groß. Länder mit hohen Alltagsrisiken haben gelernt, auch im stressigen, weil gefährlichen Alltag gelassen zu bleiben. Auch wir müssen leider lernen, mit mehr Gefahren zu leben. Dabei ist anzumerken: die Anzahl der gefährlichen Reichsbürger ist vermutlich nicht hoch ist. Aber Kommunen und ihre Mitarbeiter/innen sollten auf diesen potentiellen Ernstfall vorbereitet sein. Auch strukturelle Vorsichtsmaßnahmen sind zu treffen. Gemeint sind Vorsichtsmaßnahmen, wie ein Sicherheitsdienst und Alarme verschiedenster Art. Kommunen/Unternehmen können und sollten sich in Praxis-Seminaren auf Reichsbürger und Menschen aus der Reichsbürgerbewegung vorbereiten.