Marokko: Urlaub unter Polizeischutz und die Suche nach Fluchtgründen

Marokko: Urlaub unter Polizeischutz und die Suche nach Fluchtgründen

Schwerbewaffnete am Stand überall und die Musik spielt für die Touristen „Hello“

Wir sitzen am Nachmittag im Hotel Café draußen bei angenehmen 20 Grad in der Sonne und es ist Januar in Agadir (Marokko). Keine zwanzig Meter entfernt, bewacht ein Wachdienst den Eingang zum Hotel.
Drinnen in der schönen Poollandschaft läuft der Song „Hello“ von Adele, Touristen entspannen sich auf Liegen und lassen sich bräunen. Auf der Strandpromenade fährt minütlich die Polizei Patrouille, Autos und Quads sind im Einsatz. Militär mit schusssicheren Westen lehnt an den Wänden der Hotels in Richtung Strand.

Die Minen der Polizisten sind finster, fotografieren unerwünscht. Auf der Standpromenade fahren die Touristen mit Fahrrädern und Elektro Rädern in respektvollem Abstand um die Bewaffneten in grünen, braunen und blauen Uniformen herum, man hat sich gewöhnt.

Warum so viele Migranten das Land verlassen und warum eine Rückführung abgelehnter Asylbewerber aus Marokko so schwierig ist.

Allein im Dezember 2016 haben 2 900 Marokkaner in Deutschland Asyl beantragt. Nur eine kleine Gruppe, 3.7 Prozent, wird als asylberechtigt anerkannt. Gefangene aus Marokko gelten als besonders schwierig in den Haftanstalten. Und der marokkanische Staat kooperiert nicht wirklich bei der Rückführung abgelehnter Asylbewerber. Die Rückführung abgelehnter Asylbewerber nach Marokko funktioniert zurzeit nicht.

Aus drei Gründen verlassen so viele Marokkaner ihr Land, sagt Amnesty International. Die Verfolgung von (1) Dissidenten und (2) Homosexuellen. Außerdem verlassen viele Menschen Marokko, um der schlechten Wirtschaftslage zu entkommen. In Marokko sind Schätzungen zufolge bis zu 50 Prozent aller jungen Akademiker arbeits- und perspektivlos. Da alles zeigt sich auch im normalen Alltag des Hotel- und Tourismusbetriebes

Küssen verboten – Religion: Islam

Alles ganz liberal hier, sagt der Touristenführer zur Begrüßung am Tag zwei des Besuchs. „Dürfen wir am Strand Händchen halten und uns küssen“, frage ich, der Verliebte besorgt.  „ Kein Problem“, strahlt mich der Touristen-Führer an, wir sind liberal hier“. „ Wir haben sogar eine evangelische und katholische Kirche hier und zwei Synagogen, sagt er stolz und fährt mit dem Finger über die Landkarte.

Doch am Strand da halten marokkanische Pärchen sich nicht die Hand, sie hacken sich diskret unter – höchstens – und sich küssen in der Öffentlichkeit, das habe ich nicht gesehen.

Ein Taxifahrer sagt, als ich nach der Religion des Landes frage, „nur Islam“ und schaut mich streng an. Als ich ihm erkläre, dass es in Deutschland fünf Millionen Muslime gibt und viele Moscheen, hat der Mühe, das zu glauben.

Das Thema „Politik“ wird im Alltag gemieden. Sich kritisch über den Islam und den König, einen der reichsten Männer der Welt zu äußern, ist strafbar und passiert nicht. Höchstens erlaubt man sich eine ironische Bemerkung über die Vielzahl seiner Paläste. „Ich trinke jeden Tag Kaffee mit ihm“, erkläre mir ein Taxifahrer süffisant.

Besuch der Altstadt von Agadir am Sonntag und bitte nicht lange bleiben

Am Sonntag fahren wir mit dem Taxi zur Altstadt von Agadir, hoch über der Stadt gelegen. Sie wurde bei einem Erdbeben 1960 völlig zerstört. Es stehen nur noch einige Mauern auf dem Berg.

Wir handeln mit dem Taxifahrer einen Preis für die Hin- und Rückfahrt aus. Während der Fahrt steigt der Preis um ein Drittel. „Ich bin ein Berber“, grinst der Taxifahrer,  „und wir sind gute Geschäftsleute“.  Wir einigen uns auf einen Kompromiss und er will 30 Minuten auf uns warten. „Bleibt nicht länger“, rät er uns. „Und auf keinen Fall alleine mit der Frau zurückgehen“, sagt der Taxifahrer, sagen die Experten vom Tourismus.

Auf dem Berg sind wenige Touristen zu sehen und nur ein Polizist. „Die Krise ist schuld“ lamentiert der Taxifahrer und als ich unschuldig frage, „welche Krise“, sagt er „der Terrorismus“. Wir machen viele Fotos oben auf dem Berg, Agadir liegt zu unseren Füßen, ein schönes Bild.

Um uns herum viele Familien und Jugendliche  und  kaum ein Mädchen unverschleiert. Zum Abschluss machen wir Fotos mit dem Kamelbesitzer Achmed und seinem Kamel „Toto“, für zehn Dirhams ( 1 EURO circa).  Er spricht perfekt englisch und französisch, hat eigentlich Sprachen studiert und ist einer der 50 Prozent Akademiker ohne entsprechenden Job. Doch er beklagt sich nicht.

Auf der Rückfahrt erzählt uns der Taxifahrer (51) von seinem großen Traum. Einmal Urlaub  in Spanien oder Frankreich. Doch er hat zwei Kinder (14 und 12 Jahre jung) und heute erst zwei Touren gemacht.

Homophobie im Hotelbetrieb

Im Hotel bemüht sich ein fünf köpfiges Team von Animateuren, abends den Touristen die Kultur Marokkos zu vermitteln. Sie stehen jeden Abend auf der Bühne und verausgaben sich vom Sketsch bis zum Bauchtanz. Tagsüber leiten sie Kinder- und Sportgruppen. Bei keiner Abend Veranstaltung aber fehlt ein hämischer Kommentar zu Homosexuellen. Transvestiten darzustellen und zu veralbern scheint abendliche Pflicht eines Animateurs in unserem Hotel zu sein.

Homophobie und Gewalt gegen sexuelle Minderheiten sind in Marokko weit verbreitet, und auch strafrechtlich trotz Kritik der EU, der UNO und Menschenrechtsorganisationen nach wie vor fest verankert. Es ist der umstrittene Paragraf 489 des Strafgesetzbuches, der Homosexualität bestraft. Er wird oftmals angewendet. Seit 1972 sind für „Delikte der Perversion“ zwischen sechs Monaten und drei Jahren Strafrahmen „normal“ Geldstrafen gibt es extra. Die einfachen Menschen glauben, und dieses wird geschürt von „frommen Bartträgern“, Homosexualität sei verantwortlich für Erdbeben, für das Leid von Familien, sogar für das Leid ganzer Städte.

Die EU-Staaten zeigen sich diesbezüglich auf beiden Augen blind, gilt doch Marokko für das Gros als sicherer Drittstaat und Herkunftsland. Abschiebung scheint wichtiger als Menschlichkeit, berichtet der Journalist Jan Maroc im Juni 2016 im Magazin „Migazin“.

Schlange stehen gegen den Terrorismus

Bei der Einreise sehen wir eine Stunde Schlange vor den Schaltern der Polizei. Wir müssen eine Besucherkarte ausfüllen. Gefragt wird nach Name, Beruf, Passnummer, woher und wohin. Die Daten werden dann in einen PC eingegeben. Fünf Beamte für 200 Touristen und schon in der Schlage den Pass vorzeigen, das dauert, beeindruckt aber wenig in Sachen Sicherheit. Es zeigt dem Touristen aber gleich Herrschaftsverhältnisse auf, wenn der Beamte die Touristen wortlos mit Kopfnicken dirigiert.

Bei der Rückreise gibt es im und vor dem Flughafen fünf Kontrollen und immer wieder Schlange stehen. Passagieren laufen Gefahr, ihr Flugzeug zu verpassen. Dramatische Szenen spielen sich ab. Beherzte Stewardessen westlicher Fluggesellschaften greifen ein, führen betroffene Passagierte an den Wartenden zur Kontrolle vorbei. Auf Seiten der „Sicherheit“ führt das zu mürrischen Gesichtern.

Oft fliegende Marokkaner lassen Handys und Tabletts bei den Handgepäckkontrollen gleich im Gepäck. Das scheint zu funktionieren. Wichtiger als Sicherheit ist den Offiziellen die gezeigte Ergebenheit der Passagiere.

Mohammed auf dem Großmarkt und die Macht der Polizei

Mohammed, 28 Jahre jung hat sich angeboten, uns für 20 Dirhams den großen Markt in Agadir zu zeigen. Er trägt die traditionelle Kleidung, marokkanischer Männer, ein Gewand über der Jeans. Er hat nur drei Jahre lang eine Schule besucht. „Der Markt ist mein Lehrer“ erklärt er stolz. Er spricht nach zwanzig Jahren Karriere auf dem Großmarkt, vom Tragetaschen-Verkäufer bis zum Touristen-Führer, sehr gut englisch und französisch, ein wenig deutsch und sogar ein bisschen russisch.

Er ist wohl gelitten unter den Händlern, liegt es doch auch an ihm, einen Shop als gut zu empfehlen oder als “ Ramsch aus China“  schlecht zu machen. Plötzlich stehen zwei junge Männer dicht vor mir. Sie tragen zivil, einer hat eine Mütze auf dem Kopf, drauf steht „Police. „ Your Passport“ verlangt einer mit drohender Stimme und Mohammed steht unsicher daneben. Ich erkläre, dass Touristen ihren Pass nicht mit sich tragen sollten, so die Bitte des Hotels und die Empfehlung der Polizei.

Ich werde ein wenig befragt nach dem woher und wohin und dann ziehen die beiden „Geheimen“ missmutig davon. War das nun die geheime Polizei, die überall präsent ist oder der Versuch einer Bande, mir den Pass abzunehmen.

Mohammed lächelt die Fragen hinweg und wir eilen zum nächsten Shop, meine Frau liebt den Markt.

 

Von Shakira zu Fatima und gute Fälschungen

„Komm Shakira, komm“, ruft der Händler auf dem größten Markt Agadirs und weist auf viele Hemden, Pullover, Tücher und Schnallen. „Ich mache Dir guten Preis“ verspricht er und meine Frau, blond und hübsch, darum „Shakira“ von ihm genannt, taucht mit leuchtenden Augen ein in die Shopping Welt Marokkos.

Fünf Sachen sind nach 10 Minuten gefunden, „beste Fälschungen“, strahlt mich meine „Shakira“ Sabine an.  „Ich mach guten Preis“ ruft der Händler und zählt alles zusammen. „Macht 900 Dirhams“, ruft er, „Preis unter Freunden“. „Aber, aber“, ruft meine Frau, „Das ist viel zu viel“, undein erbitterter Preiskampf beginnt.

Ich höre den Händler schmeicheln „Shakira du bist schön und reich, alles beste Qualität, habe ich zu diesem Preis gekauft“ und immer beteuert er, er sei ein „armer Schlucker“. Die Beteuerung, man sei ein „armer Schlucker“, hören wir sehr häufig auf dem Markt. Der Sprachlehrer für die Händler auf dem Großmarkt scheint schon ein älteres Semester zu sein.

Und als die Klamotten für 500 Dirhams in der Einkaufstausche meiner Frau ihren Platz gefunden haben, erklärt mir der Händler grimmig aber mit Anerkennung, „deine Frau keine Shakira, deine Frau Fatima“.

Kamele am Strand und Achmed

Meine Frau möchte mit mir in den Sonnenuntergang schauen. Wir holen uns zwei Drinks und sitzen bald bequem in den Liegestühlen am Hotelstand, bestens bewacht von der Hotel -Security am Hotelausgang und am Strand selbst. Auf der Promenade flanieren wie üblich bewaffnete Uniformierte, meist junge Männer, die Maschinenpistole lässig um den Hals gehängt. In der Ferne geht die Sonne, versinkt als Feuerball im Meer.

Der Mond in Marokko ist ein übrigens ein wenig verwirrend, Der Viertelmond steht nicht, sondern liegt auf dem Rücken. Diese nicht alltägliche Sicht hat mit der „Geometrie der Planetenbahnen“ zu tun, sagt das Internet.  „Marokko eben“, sagt meine Frau und zuckt mit der Schulter.

Ganz von ferne sehe ich einen Kamelreiter, der eine Peitsche über dem Kopf schwingt und gemächlich am Strand auf uns zutrabt. „Krieger der Wüste“, flüstere ich meiner Frau fragend zu und blicke hinüber zur Security. Die schaut gelangweilt in den Sonnenuntergang.

Der Wüstenkrieger hat sich auf fünf Meter genähtert und springt von Kamel. Das ist doch „Toto“ mit Achmed rufe ich meiner Frau zu und der Krieger der Wüste winkt. Wir haben bereits am Sonntag auf dem Hügel über Agadir in der Altstadt, bzw. das, was von ihr übrig blieb nach einem Erdbeben, Fotos mit ihm gemacht.

„Nicht Totto“, ruft der Kamelbesitzer, „heute Jimmy“. Ich kann zwischen Kamel Totto und Jimmy keinen Unterschied erkennen. Für 10 Dirhams lassen wir uns noch einmal mit ihm ablichten. Achmet plaudert ein wenig mit der Security, in bestem Französisch, Ich höre, dass sie dieselbe Schule besucht haben, man empfiehlt sich Diskos mit Super- Shakiras.

Ein anerkennender Blick streift meine Frau, Dann reitet Achmed mit seinem Kamel Jimmy wieder davon. Dabei rutscht ihm ein Portemonnaie aus der Hose. Es sind viele Visitenkarten drin. Eine liegt auf dem Boden. „ Come and see Marokko“ steht drauf und Achmet und Totto /Jimmy (wer weiß das schon) strahlen in die Kamera.

Marokko – ein Land mit freundlichen Menschen und vielen Problemen, die auch unsere sind.

Wir werden wiederkommen. Das mussten wir vielen in Marokko versprechen und wir machen das gerne. Marokko wird noch lange auf der Liste der Fluchtländer stehen, wenn sich die Gründe für die Flucht aus dem Lande nicht ändern. Und danach sieht es im Moment nicht aus.