Satire: Merzi und der Kuss im Beichtstuhl

Auszug aus dem Satire-Buch: Satire FriedrichMerz – Die Abenteuer von Merzi und Linni

Das „Sag mal Papa“- Buch

Die Kinder hatten Merzi zu Weihnachten ein leeres Buch geschenkt. „Sag mal Papa“, stand auf dem Buch-Rücken. Die Kinder hatten erklärt, sie möchten, dass er einige wichtige Stationen seines Lebens für sie aufschreibe. Amüsiert hatte Merzi das Buch aufgeschlagen. Die erste Seite stand voller Fragen. Eine davon lautete „Mein erster Kuss“.

Das war ein heikles Thema. Seine Frau reagierte etwas empfindlich auf den Namen Gitte, so hieß nämlich  seine erste Freundin. Er sei immer noch nicht mit ihr fertig, erklärte sie, wenn der Name Gitte fiel. Der Name Gitte sorgte für miese Laune im Hause Merzi. Sie hatte die Zeitschrift Brigitte abbestellt und Platten der Sängerin Gitte legte er schon lange nicht mehr auf.

Wenn dann die Kinder die Geschichte „Mein erster Kuss“ vorlesen würden, dann wollte er lieber nicht dabei sein. Leicht verstimmt hatte Merzi seiner Frau erklärt, er müsse mal an die frische Luft. Dann war er zum Kaffee  trinken in den „Beichtstuhl“ gegangen, so hieß Gittes Café  gegenüber der Stadt-Kirche. Wenn Merzi am Wochenende aus dem lauten Berlin ins Sauerland zurückkehrte, trank er dort einen Kaffee. Willkommen im Beichtstuhl, sagte sie dann mit verschmitztem Lächeln und beide lachten etwas verlegen.

Kirchgang, Freiheit und der erste Kuss

„Kirchgang und Kinder-Liebe“, würde das erste Kapitel in dem Buch heißen, hatte er gerade beschlossen. Die Eifersucht seiner Frau dürfe ihr Leben nicht beherrschen, hatte ihre Paartherapeutin erklärt. Merzi hatte bei Gitte einen Kaffee bestellt, wie immer mit Milch und dem üblichen Scherz. Merzi schaute vom Café herüber zur alten Stadt-Kirche. Dort hatte er  Gitte auch kennengelernt und auch seinen ersten Kuss bekommen.

Als Junge hatte er jeden Sonntag mit in die Kirche gemusst. Er hatte den blauen Anzug angezogen und die Kommunions-Uhr angelegt. Die hatte ihm sein Opa, der auch sein Taufpate war, zur Kommunion geschenkt. Die Kirche hatte Merzi langweilig gefunden. Knien, aufstehen, singen, dem Evangelium und der Predigt zuhören, das kannte er von Kindesbeinen an. Da gingen alle am Sonntagmorgen hin. Das sei Christen-Pflicht, hatte sein Vater erklärt, da gebe es keine Diskussion. Im Übrigen sei der Gedanke daran, die Kirche zu schwänzen, eine Sünde und müsse gebeichtet werden.

Die Messe war für Merzi langweilige Routine geworden. Lediglich der Gang zur Kommunion, fast am Ende der Messe, brachte etwas Schwung in die Sache. Alle, die bereits zur Erst-Kommunion gegangen waren, durften sich dann vorne am Altar eine Hostie abholen. Da ging man in einer Reihe hintereinander nach vorne zum Altar und bekam ein kleines Stück Brot in die Hand gelegt. Oplaten hießen diese kleinen fast durchsichtigen Stückchen Brot. Wenn sie gesegnet waren, nannte man sie Hostien.

Der Gang zum Altar und zurück und erste Freiheiten

Beim organisierten Gang nach vorn hatte er sich ein wenig bewegen können. Genau da hatte Merzis Gang in die Freiheit begonnen. Auf dem Weg von vorne, wo der Priester einem die Hostie in die Hand gelegt hatte, war er auf dem Weg zurück zu seinem Platz einmal zufällig an der Kirchenbank seiner Familie vorbeigelaufen, wo die anderen schon auf ihn gewartet hatten. Er war einmal nach ganz hinten zum Taufbecken gelaufen und auf der anderen Seite der Bankreihe zurück.  „Wo warst du“, hatte ihn seine Mutter angezischt, als er sich in der Bank an ihr vorbei an seinen Platz gedrängelt hatte.

Beim nächsten Mal war er nicht zufällig an ihrer Familienbank vorbeigelaufen. Das waren seine ersten kleinen Schritte in Richtung Selbstständigkeit gewesen und er hatte es genossen. Manchmal war er in die falsche Bank-Reihe eingestiegen und hatte dann ganz durch die Bank-Reihe laufen müssen. Die Knieenden hatten für ihn aufstehen müssen und er hatte sich mit gesenktem Haupt an ihnen vorbeigedrückt. Bei der Gelegenheit hatte er manch aufregendes Frauen-Parfüm gerochen. In den Kleinstädten des Sauerlandes kam man sich ansonsten nicht so nahe.

Zu Hause am Mittagstisch hatte sein Vater ihn ins Gebet genommen, wie der gesagt hatte. Ob er was an den Augen habe oder was die Rennerei in der Kirche solle. Er sei oft im Gebet vertieft, hatte Merzi geflunkert. Er denke seit längerem darüber nach, Priester zu werden. „Mein Gott“, hatte seine Mutter gerufen und die Suppenschüssel fallen lassen. „Man kann es auch übertreiben“, hatte der Vater säuerlich erklärt. Merzi wusste nicht, ob der Vater die Mutter oder ihn  gemeint hatte. „Warte mal ab, bis die ersten Mädels auftauchen“, hatte der Vater zur Mutter gesagt. Darüber sei das letzte Wort noch  nicht gesprochen worden, hatte er erklärt und die  Mutter schelmisch angesehen. Merzi hatte jedenfalls seine Ruhe gehabt. Wenn er jetzt ihrer  Reihe vorbeisauste, verdrehte der Vater nur die Augen. „Unser Pastor auf Abwegen“, flüsterte er dann der Mutter zu und beide lachten leise.

Merzi und die erste Freundin, Spaziergänge in der Kirche

Bei einer seiner frommen Extrarunden in der Kirche hatte Merzi seine Gitte kennengelernt. Ihre Familie hatte in der Kirche eine Reihe hinter ihnen gesessen. Er war knapp vierzehn Jahre alt gewesen. Sie war eine Klasse unter ihm gewesen und hatte blonde Haare. Sie hatte Birgit geheißen und hatte ihm gefallen. Er hatte sie später Gitte genannt. Eines Tages hatte sie es geschafft, sich beim Gang zur Kommunion hinter ihm einzureihen. Als er mit gesenktem Kopf an seiner Reihe vorbeigegangen war, obwohl der Vater dieses Mal heftig und laut gehustet hatte, war sie ihm einfach gefolgt. Merzi hatte sie hinter sich gespürt und war dann in den Beichtstuhl gegangen, der ganz am Ende der Kirche neben dem Eingang stand. Sie war ihm gefolgt. Es war einer jener wuchtigen Beichtstühle, in denen korpulente Groß- Bauern auch bequem Platz nehmen konnten. Beim ersten Mal hatten sie kurz Händchen gehalten und waren dann wieder in ihre Reihen zurückgekehrt. Am nächsten Sonntag hatten sie sich im Beichtstuhl geküsst.  

Sein Vater hatte nicht gewusst, was er auf Dauer davon halten sollte. Ob er mit dem Pastor darüber sprechen wolle, hatte seine Frau ihn gefragt. Merzis Vater hatte das lieber vermieden. „Soso, ist der Herr Pastor auch schon wieder da“, pflegte er stattdessen zu sagen, wenn Merzi in der Bankreihe neben ihm wieder auftauchte.

An den späteren Sonntagen hatten Gitte und er im Beichtstuhl oft Raum und Zeit vergessen. Da es in der Kirche streng verboten war, sich umzudrehen, waren ihre Beichtstuhl-Aktionen nicht weiter aufgefallen. Gitte war von dort aus direkt nach Hause gegangen. Ihre Eltern waren da nicht streng, ihnen gehörte das Schuhgeschäft im Städtchen.

„Gehet hin in alle Welt“, hatte der Pfarrer am Ende der Messe immer in die Gemeinde gerufen und den Gläubigen den Segen erteilt. Einmal, als Gitte und Merzi beim Knutschen im Beichtstuhl wieder einmal Raum und Zeit vergaßen, hatten sie noch eine Zeit im Beichtstuhl ausharren müssen, bis alle aus der Kirche raus gewesen waren. „Wo warst du wieder“,  hatte sein Vater ihn beim Mittagessen streng gefragt. Merzi  hatte nur lakonisch geantwortet, „Ich hab mich verlaufen“.

Dann hatten sie sich auch unter der Woche im Beichtstuhl getroffen. Er müsse zur Beichte, hatte Merzi dann seiner Mutter erklärt. Was er denn immer ausfresse, hatte sie ihn mit strengem Blick gefragt. Der Vater aber hatte ihr augenzwinkernd erklärt, der Kleine werde groß und wahrscheinlich doch kein Priester.

 Später waren Merzi und seine Gitte  zusammen in den Tanzkurs gegangen und die Dinge hatten ihren Lauf genommen. Viel später hatte Merzi studiert und sie war im Schuhgeschäft ihrer Eltern geblieben. Merzi hatte seine jetzige Frau am Studienort kennengelernt, Gitte ihren Walter im Sauerland-Städtchen.

Walter war Bank-Berater und liebte das Klein-Stadt-Leben. Sie hatten inzwischen drei Kinder und Gitte hatte das Café „Der Beichtstuhl“ eröffnet. Walter kannte die Beichtstuhl-Geschichte nicht. Er war aber auch nicht eifersüchtig. Merzi hatte zwei Stunden im Café an der Geschichte geschrieben und sich überlegt, was er nun tun solle. Er hatte beschlossen, das Buch in Berlin in den Safe zu legen. Da bestand höchstens die Gefahr, dass der fromme Linni, Messdiener und Pfadfinder, das Buch lesen würde. Merzi war sich sicher. Sollte sein Mineralwasser im Kühlschrank gegen gesegnetes Weihwasser ausgetauscht werden, dann hatte Linni das Buch gelesen.