Satire: Putin und die Einfluss-Sphäre, Fallbeispiel Münster

Ausschnitt aus dem Satire-Buch:

Meine Kneipe, meine Einfluss-Sphäre und Geopolitik

Gestern war Ferdinand, den sie im Viertel alle Ferdi nannten, in die Kneipe gegenüber gegangen und hatte diese besetzt. Willy, der Kneipier und Kumpel aus alten Tagen, war so baff gewesen, ihn hinter dem Tresen an seinem Zapfhahn vorzufinden, dass Ferdi, der seit Jahren im Süd-Viertel Münsters wohnte, Zeit für eine Erklärung gefunden hatte.

Er hatte seinen Colt auf die Theke gelegt und erklärt, diese Kneipe befinde sich unzweifelhaft in seinem Einflussbereich. Daraus ergäben sich für ihn einige Rechte, die er nun geltend machen wolle. Die Kneipe sei besetzt und bei historischer Betrachtung gehöre sie ihm eigentlich, er habe hier ganz alte Rechte.

Das Ganze sei eine Frage der Geopolitik. Es ergäben sich hier einige Parallelen zur Ukraine-Frage und dank der russischen Medien sei es ihm nun möglich, seinen Rechtsanspruch auf Willys Kneipe zu begründen. „Alter“, hatte Willy gebrummt und mit einer Hand am anderen Zapfhahn weitergezapft. „Sonst geht’s aber gut, ja?“

Willy wollte nicht verstehen. Ferdi versuchte, seiner Mimik den ehrlich gefühlten Ausdruck größten Bedauerns zu geben und zog ihm seinen Colt über den Schädel. Der Colt war eine Leihgabe aus dem Kinderzimmer zu Hause, war sehr groß und sah wirklich echt aus, was schon beim Ersteinsatz im Kinderkarneval in der Kita zu Problemen geführt hatte. Willy taumelte auf den Hocker vor dem Zapfhahn und Ferdi fand Zeit, seine Ansprüche zu begründen.

Die Fakten waren nämlich klar: Die Theke befand sich nur 50 Meter Luftlinie von seiner Wohnung entfernt. Er hatte in dieser Kneipe und schon in der Vorgängerkneipe Bier getrunken, als Willy sie noch gar nicht kannte und ganz früher hatte eine Freundin von ihm dort einen Wollladen gehabt. Das war in der Zeit, als echte Männer sich noch die Pullover – schön bunt natürlich und in Wolle – von der Mutter oder Freundin stricken ließen. Also war ganz lange her, aber rechtsrelevant für die Geopolitik.

Hinzu kam, dass die meisten Kunden Ferdis Nachbarn und Freunde, waren, mit denen er auch eine lange Nachbarschaft und sozusagen eine gemeinsame Geschichte hatte. Und gehörten nicht alle zum gleichen Stamm der Bildungsbürger-Mittelschicht (BBMsch)?

Willy, der Wirt, hielt das Ganze scheinbar für einen schlechten Scherz. Der erste April sei schon einige Wochen her, erklärte er und hielt sich seinen Kopf. Es bedurfte eines Fußtritts in seine Weichteile, um ihm die Ernsthaftigkeit der Forderungen Ferdis zu verdeutlichen.

Damit war die Grundlage einer geopolitischen Diskussion erreicht gewesen. Ferdis Machtanspruch auf Willys Kneipe, begründet in der nachbarschaftlichen Lage und der Tatsache, dass viele seiner Kunden von seinem Stamme waren, der BBMsch, wurde mit Macht und Tradition verknüpft. Ferdi lud die Kumpel in der Kneipe zu einer Runde Freibier ein aus dem Zapfhahn des neuen Staates.

Kühler Kopf und entschlossenes Handeln – von Putin lernen

Willy saß nun in der Ecke und stöhnte, Ferdis Colt lag auf dem Tresen und er war Herr der Lage. Sein Studium der Sozialwissenschaften hatte sich wieder einmal ausgezahlt. Die kühle Analyse in Verbindung mit entschlossenem Handeln hatte wieder einmal gesiegt. Sein Vater wäre stolz auf ihn gewesen, dachte er.  Der hatte es bis zum Bürgermeister gebracht, er nun zu einer Bierquelle.

Die politische Macht kommt nämlich aus dem Laufe eines Gewehres (Mao Tse-Tung), was sein Colt wieder einmal bewiesen hatte. Dieser und Max Webers Macht-Definition hatten ihn zum „Herrn der Lage“ gemacht. Hatte der alte Weber doch schon gesagt: „Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht (Weber 1972: 28).“

Zwei Hiebe und die Theorie war in die Praxis umgesetzt worden. „La valeur d´une idee, c´est la réalisation“, hatte der Chef eines deutsch-französischen Bildungswerks immer wieder geschwärmt. Ferdi hatte dort einige Male gejobbt, aber jetzt erst sehr deutlich verstanden, was dieser damit gemeint hatte. Natürlich hatte das „Rotwein-Fässchen auf Beinen“ damit recht gehabt, der Wert einer Idee liegt nun mal in seiner Verwirklichung.

Willy, der Wirt, den Ferdi seit Jahren kannte, sah ihn fassungslos an und stammelte: „Eh Alter, bist du krank?“ Ferdi hieb ihm seinen Colt erneut über den Kopf. Willy plumpste auf den Boden und war nun bereit und willig, Ferdis weiteren Ausführungen zu folgen. „Die Umsetzung von Ethik erfordere manchmal Härte und wer nicht höre, müsse fühlen“, hatte ein Philosophie-Professor ihm einmal erklärt.

Die Geschichte von Putin, Schröder und der brennenden Sauna fiel ihm wieder ein. Er hatte im russischen „Sputnik“, der Internet-Zeitung für den neuen starken Mann (voll krass-männlich) davon gelesen. Da hatte vor einigen Jahren doch bei Putin zu Hause die Sauna gebrannt.

Wahrscheinlich ein Anschlag der CIA, getarnt als russische Schlamperei, so die russische Vermutung. Schröder habe, so Putin, in der brennenden Sauna darauf bestanden, das Bier in Ruhe auszutrinken. „Ein richtiger Mann mit Charakter“, nannte Putin Schröder deshalb.

Was würde Putin ihm in dieser Situation nun raten? Mit tadelndem Blick machte Ferdinand dem Willy nun klar, dass er in unmittelbarer Nähe zu seiner Wohnung nicht mit jedermann Verträge abschließen könne, etwa Geld gegen Bier oder Geld gegen Wein. Sein Handeln finde in seinem Einflussbereich, seiner Einfluss-Sphäre, statt und das sei zu berücksichtigen.

Er, der Ferdi, schließe auch dauernd unmittelbar in Willys Nähe Verträge ab, wie Brötchen holen beim Bäcker an der Ecke, Miete zahlen beim Vermieter unter ihm, Zigaretten kaufen am Automaten an der Kneipe. Da müsse er verstehen, dass er nicht so ohne Weiteres in seiner Einflusssphäre schalten und walten könne nach seinem Gutdünken. Da müsse Ferdi schon mitreden dürfen, zumal er einen Colt in der Hand habe und nicht Willy, das nenne man Realpolitik.

Um sein Interesse zu verdeutlichen, hatte Ferdi gleich seinen Hauskater mitgebracht, Kater Meier. Willy, der ihn vom Balkon her kannte, hatte sich darüber anfänglich gefreut. Willy war nämlich tierlieb. Sein Hund, ein Golden Retriever, lag nachmittags immer in der Kneipe, bzw. im Vorgarten der Kneipe, wo Willy einige Stühle unter einen Sonnenschirm gestellt hatte und das Ganze nun Café nannte.

Kater Meier fühlte sich auf dem Tresen und dazu auch angeleint so unwohl, dass er jedem, der sich in die Nähe seiner Einfluss-Sphäre wagte, gleich einen Tatzen Hieb gab. Auch Willy hatte zu spüren bekommen, dass man sich mit einem Verbündeten Ferdis besser nicht anlegte.

Polizei und Geopolitik in Münster

Der herbeigerufenen Polizei versuchte Ferdi klarzumachen, dass es sich hier um einen Fall von Global Politics handle. Willys Behauptung, vom Boden her gestöhnt, hier versuche einer mit dummen Sprüchen Bier zu klauen, machte ein weiteres, entschiedenes Handeln nötig.

Ferdi hielt Willy seinen Colt an den Kopf, setzte ihm Kater Meier auf die Brust und erklärte ihn zum Gefangenen des neuen Stadt- und Straßenstaates „Geist-Nation“. Hier handelt es sich um die geniale Verbindung der Geiststraße, da wohne Ferdinand und Willy habe hier auch seine Kneipe und dem Begriff der Nation.

Wie sagte schon Charly Marx: „das Sein bestimmt das Bewusstsein“ und Ferdi war froh, nun auf der Skala der Täter vom Schläger und Dieb aufgerückt zu sein in die politische Dimension der Staatsmänner, wo solche Gespräche mit Stil stattfinden. Es hatte der Geiselnahme Willys bedurft, seinen Worten ein würdiges Gewicht zu verleihen, aber außergewöhnliche Situationen, hier die Staatengründung, erforderten nun mal außergewöhnliche Schritte.

Alle Gaffer hatten sich in ehrfurchtsvolle Entfernung zurückgezogen, als er Willy, einem ansonsten guten Freund, mit dem Kartoffelmesser das rechte Ohr abschneiden musste – was ihm herzlich leid tat – , um nochmals die Ernsthaftigkeit seiner Forderungen zu unterstreichen.

Willy hätte sich dabei ruhig ein wenig beherrschen können. Sein großer Blutverlust machte das Herbeiholen eines Arztes erforderlich und verzögerte die Aufnahme ernster politischer Gespräche zur Durchsetzung von Ferdis Interessen, bzw. der Einfluss-Sphäre des Stadt- und Straßenstaates „Geist-Nation“.

Die Polizei hatte inzwischen einen Psychologen in die Kneipe geschickt, der Verhandlungen führen sollte. Es handelte sich um Dieter, den Ferdi gut kannte. Ihre Kinder hatten dieselbe Grundschule besucht und er wohnte ebenfalls in der Geiststraße. Damit gehörte Dieter eindeutig zur „BBMsch“ und hatte Ansprüche auf die Staatsbürgerschaft in der „Geist- Nation“.

Mit Willys Kopf zwischen Ferdis Beinen und der Pistole an seinem Kopf, waren die ersten offiziellen Verhandlungen zwischen Deutschland und dem Stadt-Staat „Geist- Nation“ gestartet worden.Ferdi durfte dabei auf ein historisches Bewusstsein gerade in Münster hoffen. Immerhin befand man sich in der Stadt des Friedensschlusses des 30-jährigen Kriegs. Auch damals hatte das eiserne Gesetz der Einfluss-Sphäre gegolten. Nach langen Verhandlungen hatte man sich damals darauf geeinigt, dass der Fürst in seinem Gebiete den Glauben seiner Untertanen bestimmen dürfe. „Cuis regio, eius religio“, hatte er im Gymnasium gelernt, wobei der Lateinlehrer allerdings das Küchenlatein der Fürsten gerügt hatte.

Ferdi hatte in Münster, der Stadt des Westfälischen Friedens, nunmehr die Lufthoheit erhalten in seinem Stadt- und Straßenstaat der „Geist-Nation“. Dieses war mit den klassischen Mitteln der Realpolitik gelungen. Die Moral hatte der Macht weichen müssen. Sein Colt, sein Kater und sein Anspruch hatten sich durchgesetzt, im Moment jedenfalls. Die Aktion „Einfluss-Sphäre des Stadtstaates „Geist-Nation“ hatte die gewünschte politische Form erhalten.

Die Gründung des Stadt- und Straßenstaates „Geist-Nation“

Ferdi gründete, nachdem einige lästige Schreier und Freunde Willys von der Polizei abtransportiert worden waren, nun auch förmlich den neuen Stadt- und Straßenstaat, die „Geist-Nation“, indem er diesen feierlich ausgerufen hatte. Die Zahl der Gründungsmitglieder des neuen Straßenstaates und des Staatsvolkes, hielt sich in Grenzen, aber er verfügte über ein Land, die Geiststraße und die Staatsmacht, seinen Colt und Kater Meier. Zudem war es ihm gelungen, einen alternden Politiker auf seine Seite zu ziehen, Helmut Pröder. Dieser hatte im früheren Stadtrat den Vorsitz einer größeren politischen Partei innegehabt und war von niemals nachlassender Energie, wovon auch seine Haare kündeten, die im nie nachlassenden Schwarz brillierten.

Gegen eine Gewinnbeteiligung von 10 Prozent am Umsatz des neu gegründeten Staates erklärte sich Helmut Pröder bereit, Ferdi seinen politischen Rat zukommen zu lassen. Gleich nach der Unterschrift und der Vollmachterklärung hatte er Ferdi  mit dem Bürgermeister verbunden, dessen Handynummer er besaß.

Er hatte  dem schlaftrunkenen Stadt-Chef erklärt – immerhin war es nun kurz vor Mitternacht, und in Münster gehört ein anständiger Mensch (Studenten ausgenommen) dann ins Bett – die internationale Presse und ein brisanter Konflikt erforderten seine Anwesenheit.

Nach der Einbindung von drei Journalisten, die ihrerseits kommen wollten, nachdem sie von Helmut Pröder über die Anwesenheit des Bürgermeisters informiert worden waren, und eines Falles von politischer Geiselnahme, war auch die Presse im Spiel gewesen. Die Presse schaffte es, gleichzeitig mit dem Bürgermeister vor Ort zu erscheinen, was beiden die Gewissheit gab, dass es sich hier um eine ernsthafte Angelegenheit handelte.

Auch ein herbeigeeilter Kaplan hatte, angesichts einer großzügigen Spende Ferdis aus Willys Kasse, nur seinen Dank gemurmelt, und alle zur nächsten Sonntagsmesse eingeladen. Er werde den neuen Staat in seine Fürbitte einschließen, hatte der Kaplan versprochen, bevor er davongeeilt war.

Die Anwesenheit der Presse und der forsche Einsatz von Handys der Kneipen- Besucher hatten inzwischen dafür gesorgt, dass Ferdis politische Heldentat in den Abendnachrichten erwähnt worden war. Gezeigt wurde häufig das Foto von ihm mit dem Colt in der Hand und Kater Meier auf Willys Brust thronend. Tierliebe zahlte sich halt aus!!

Ferdis Tochter Roswitha klärt

Plötzlich war im Eingangsbereich zur Kneipe, der nun von starken Polizeikräften gesichert wurde (das ist nun mal so bei internationalen Verhandlungen), ein lautes Geschrei zu hören. Der Psychologe wurde hinausgerufen und kehrte kurze Zeit später mit Ferdis ältester Tochter Roswitha zurück.

Der gelang es nun in kürzester Zeit, die Staatengründung zu verunmöglichen und außerdem ihren Vater ins Gefängnis zu bringen. Ferdi fielen dazu innerhalb der nächsten zwei Minuten die Worte seiner Mutter ein: Kinder seien nun mal undankbar.

„Spinnst du“, hatte Roswitha ihn vor laufenden Kameras angefaucht. „Kater Meier, her zu mir“, befahl sie und das undankbare Vieh sprang ihr mit lautem Schnurren auf den Arm. „Und der Colt gehört auch mir“, erklärte sie und nahm Ferdi diesen einfach aus der Hand. „Karneval in der Kita und ich als Cowboy“ hatte sie Ferdi und der staunenden Weltpresse erklärt. Ferdi hatte einen Moment fassungslos dagesessen, immer noch Willys Kopf zwischen den Beinen.

Diesen Moment emotionaler Schwäche und Unaufmerksamkeit hatte der Psychologe genutzt, um Ferdi das Bier, gezapft aus dem Hahn des neuen Stadt- und Straßenstaates, der „Geist-Nation“, über den Kopf zu schütten. Zwei vermummte Gestalten mit T-Shirts der Marke „Polizei“ hatten dann mit ihren Handkanten auf ihn eingeschlagen. Ferdi hatte die Kontrolle über die Situation verloren und Willy die Freiheit wiedergewonnen.

Ferdi hatte in diesem Moment nur zu gut verstanden, warum Putin schon vor Jahren seine familiären Bande gekappt hatte. Er versprach sich und den Anwesenden feierlich, soweit der Würgegriff der Polizei es dann noch zuließ, beim nächsten Versuch einer Staatsgründung, Putins Rat vorher einzuholen. Besser wäre es vielleicht, ihn direkt ins Boot zu holen und an der Staatsgründung zu beteiligen. Er werde Helmut Pröder um Rat fragen, der kenne sich aus.

Erste Veröffentichung 13.06.2015