Satire: Putins Kampf für den Frieden und andere strategisch wichtige Fragen

Ausschnitt aus dem Satire-Buch:

Münster im Krieg?

Ein entsetzlicher Knall in der Wohnung über ihm riss Ferdinand um vier Uhr in der Früh aus dem Schlaf. Er sprang aus dem Bett und war sich sicher, Münster-Süd wurde wieder bombardiert und eine Bombe hatte über ihm eingeschlagen. Die Detonation hatte direkt über ihm stattgefunden, und vielleicht hatte es die Designer über ihm vom Designer-Büro „Raphaele“ erwischt. Ferdinand war nicht sicher, ob er ihren möglichen Tod als einen Verlust empfinden sollte. Zu sehr hatten sie ihn seit Jahren genervt. Ewig trampelten sie mit Schuhen auf dem Parkett über ihm herum und quittierten seine Beschwerden mit Beleidigungen ihm gegenüber. Einen Spießer hatten sie ihn genannt.

Ferdinand aber hatte sich für den Kriegsfall gewappnet. Sein Besuch der Ausstellung „Münster im Krieg“ und die abendlichen Nachrichten aus Syrien hatten Konsequenzen gehabt. Er wirbelte aus dem Bett und riss seinen Rucksack an sich. Den hatte er gestern Abend unter dem Eindruck der Kriegsereignisse gepackt und nur mit dem Lebensnotwendigsten ausgestattet: Handy, Tablet und PC, die portable Festplatte, sein Portemonnaie, das Etui mit den Medikamenten. Er schnallte seinen Fahrradhelm auf den Kopf, einen Stahlhelm hatte er bei einem Internet-Shop bereits bestellt.

Das Designerpaar über ihm schien den Angriff überlebt zu haben. Nur schien die Notfall-Koordination nicht eingeübt zu sein, man wurde schließlich auch nicht jeden Tag bombardiert, oder? „Blondiertes Luder“, brüllte er sie an und sie kreischte zurück, er sei ein autistischer Bandit. „Oder machten die da oben eine nächtliche Paartherapie?“, fragte sich Ferdinand, während er Vorbereitungen traf, sich vom Balkon im dritten Stock in den Garten seines Vermieters abzuseilen. Weitere Bombeneinschläge erschütterten die Etage über ihm. „Hilfe“, schrie sie in die Nacht hinein.

Angriff der Hottentotten?

In Münster-Süd gingen in der Nachbarschaft die ersten Lichter an. Ferdinand erwartete, jeden Augenblick die Sirenen zu hören. „Wer greift Münster an?“, fragte sich Ferdinand, während er sich langsam vom Balkon des dritten Stockwerkes abseilte. Hatten die Bomber Putins sich dermaßen in der Richtung vertan, dass sie nun Bomben über Münster abwarfen? Oder galt der Angriff Siggi Wotan aus dem zweiten Stock? Der hatte gestern noch erklärt, eine Völkerwanderung bedrohe das Reich. Man müsse auf alles vorbereitet sein

Gespannt seilte sich Ferdinand weiter ab bis zum zweiten Stockwerk, in dem Siggi Wolke wohnte. Der selbst nannte sich Siggi Wotan, Wotan war ein altgermanischer Kriegsgott. Lautstarke Wagner-Musik drang aus dem Fenster in die Nacht. Auf der Couch lag Siggi Wotan, neben sich einige leere Flaschen Germanen-Bräu. Er hatte seinen Blick starr auf das Bild einer vollbusigen germanischen Schönheit mit geflochtenen Haaren gerichtet. Siggi hatte die Einschläge wohl für besonders laute Paukenschläge gehalten und stierte weiterhin auf das Bild. Das sei sein germanisches Nachtgebet, hatte er Ferdinand vor einiger Zeit verraten. Er schien wohlauf zu sein, wenngleich er, wie er sagte, den Angriff der Hottentotten auf Deutschland täglich erwartete. Noch bevor Ferdinand sich die Frage beantworten konnte, wo denn die Hände Siggi Wotans waren, hatte er schon den ersten Stock erreicht.

Die germanische Frage: wo und wie muss die Feuerwehr löschen?

Im ersten Stockwerk saßen Maria und Josef Steiner vor dem Bildschirm und schauten einen Action-Film. Josef Steiner war bei der örtlichen Feuerwehr beschäftigt und hatte mit Siggi vor einigen Tagen von Balkon zu Balkon die Frage erörtert, ob man in Brand geratene Flüchtlingsheime löschen solle. Sein Chef, hatte der Feuerwehrmann Josef erklärt, habe gefordert, ein Feuerwehrmann müsse alles löschen, was da brenne. Siggi hatte dagegengehalten, im Krieg der Germanen gegen die Römer sei der Brandsatz auch schon eine Kriegswaffe gewesen. Josef hatte gemeint, ohne Rückendeckung von oben sei das bis jetzt nicht umsetzbar. Aber solange die da oben – Siggi nannte die da oben gerne Volksverräter – anders dächten, müsse er wohl alles löschen. Aber über die Geschwindigkeit dabei hätten einige Kameraden schon laut nachgedacht. Auch die Steiners hatten vom Angriff auf Münster-Süd nichts bemerkt. Sie kämpften mit der 6. Armee gerade den Verzweiflungskampf gegen die Russen, und dabei war es auf eine Detonation mehr nicht angekommen. Ferdinand klopfte gegen die Scheibe. Doch Maria und Josef Steiner hörten ihn nicht. Der Kampf um die Heimat und gegen die Russen erforderte ihre ganze Aufmerksamkeit.

Die Zwergen-Armee und Sturmführer 88

Ferdinand war im Garten seines Vermieters Helmut Hottrecke, Hotte genannt, angekommen. Er hängte seinen Rucksack über den Stinkefinger aus Beton, den sein Vermieter sich im letzten Winter zugelegt hatte. Eine Investition in Kunst hatte der das genannt und seinen Gruß an die Welt. In den Häusern ringsum schienen die Menschen in Münsters Süden noch nicht bemerkt zu haben, dass die Bomber aus England oder Russland, auf jeden Fall feindliche, wieder im Einsatz waren. Ferdinand eilte durch die gut strukturierte Gartenzwerg-Kolonie seines Vermieters dem Notausgang entgegen in Richtung Bahndamm.  

Unter seinen Füßen hörte er das Knirschen zerquetschter Keramik- und Gipszwerge. Auch die neueste Errungenschaft von Hotte, ein Zwerg in Schwarz-Rot-Gold mit leicht erhobenem rechtem Arm, der die übrigen Zwerge nach vorne zu weisen schien, rollte nun kopflos in Richtung Karpfenteich. Seine rote Zwergen-Kappe trug die Nummer 88. Der Zwerg war ein Geschenk von Siggi Wotan an Hotte anlässlich dessen 60. Geburtstags gewesen. Siggi hatte den Zwerg bei einem germanischen Nachtgebet auf „Sturmführer 88“ getauft. Hotte hatte seiner Frau Irene beim nachmittäglichen Kaffee auf der Terrasse sehr laut erklärt, das sei Symbolik, die nur Eingeweihte verstünden und vielleicht Deutschlands Zukunft. Hotte war immer auf der Höhe des Zeitgeistes und hatte gerade seinen alten Volvo mit der Aufschrift „keine Macht für niemanden“ gegen ein großes schwarzes Auto getauscht mit der Aufschrift: „Führer befiehl, wir …..“ Das Auto war ein Mittelding zwischen Jeep und Panzer und schien leicht gepanzert zu sein. Vermieter Hotte nannte es einen SUV.

Auch in Hottes Parterrewohnung war nun das Licht angegangen, und Scheinwerfer tauchten den Garten und die halbe Nachbarschaft in gleißendes Licht. Ein Bewegungsmelder hatte das Eindringen Ferdinands sofort gemeldet. „Wer da?“, brüllte Hotte in die Nacht und gab schon mal einen Warnschuss aus seinem Gasrevolver ab. Sein Dackel Fritz raste in Richtung Ferdinand und brachte die Zwergen-Kolonie endgültig zum Einstürzen. Ferdinand rettete sich durch die Gartentür auf den Bahndamm und konnte nun die Nachbarschaft gut überschauen. Er hatte seine Pflicht soweit getan und wartete nun auf Befehle von ganz oben und die Wiederherstellung der Ordnung.

Münsters verwirrender Wahlkampf und Ü-40 Partys

Während Ferdinand auf dem Bahndamm ausharrte, morgens um vier und dabei von keinem Zug gestört wurde, begann er über Krieg und Frieden in Münster nachzudenken. Gerade erst hatten sie den konservativen Oberbürgermeister wiedergewählt, ganz nach der Maxime Cäsars. Der hatte gemeint, seine Herrschaft sei sicher, solange dicke Männer um ihn seien, die nachts gut schliefen. Aus den inneren Zirkeln der Stadtverwaltung hatte Ferdinand gehört, beides träfe zu. Zur Beruhigung aller Wähler hatte der Kandidat auf Wahlplakaten immer eine blaue Krawatte getragen. Blau beruhigt! Sein quirliger Kontrahent von Links hatte Ferdinand mit seinen Wahlplakaten sehr verwirrt. Dort hatte er mal behauptet, ein Stadtplaner, dann Arbeitsbeschaffer und schließlich ein Kümmerer zu sein. Siggi hatte behauptet, er habe Plakate gesehen, auf denen der linke Kandidat behauptete, auch ein Trucker zu sein. Gott sei Dank war der Wahlkampf nun vorbei, und der Kandidat von Links hatte sich hoffentlich für einen Beruf entschieden. Am besten hatte Ferdinand das Plakat der Grünen-Kandidatin gefallen. In Münster geht mehr, hatte die behauptet. Mehr Ü-40 Partys hatte Ferdinand sich gewünscht, und vielleicht wäre dabei mit ihr was gegangen? Siggi hatte gemeint, sie sei ihm zu dünn und Josef hatte in Anwesenheit seiner Frau nichts gesagt.

Putin, der Moses Russlands

Ferdinand sah in den Himmel und seine Augen folgten einem Flugzeug, das im sternenklaren Himmel Richtung Süden strebte. Er wünschte sich in ein solches hinein, um seinen nach rechts driftenden Nachbarn und den querulanten Designern zu entkommen und vielleicht auch dem Angriff auf Münster, der aber im Moment zu ruhen schien.

War Münster nun in einen Krieg hinein geraten fragte sich Ferdinand und was bedeutete so ein Krieg? Der russische Präsident Putin zettelte regelmäßig Kriege an oder förderte diese. Er hatte in der Ukraine einen Krieg gestartet und erweitere ihn jetzt auf Syrien. Mit letzterem Schritt schien er sich wieder in den exklusiven Klub der Großmächte zurückgebombt zu haben. Er wurde von allen Seiten eingeladen, an Friedenskonferenzen teilzuhaben. Und der deutsche Ex-Kanzler Gerhard Schröder versicherte der Welt regelmäßig, Putin sei sein Freund. Er saunierte mit Putin und trank dabei nach Germanenart kühles Bier. Ein Symposium lupenreiner Demokraten halt.

Nun hatte er gehört, im russischen Außenministerium hätten sie eine neue Abteilung gegründet, die Abteilung „Heilige Ordnung Russland“. Hier prüften Experten unter Druck, welche Nation die Hilfe Russlands noch gebrauchen könnte im Kampf gegen die Supermacht USA. Ziel war die Wiederherstellung der Weltordnung, wie sie vor 1990 bestanden hatte, sozusagen vom lieben Gott geschaffen, wie willige russische Bischöfe gerne erklärten. Dort hatte es neben dem lieben Gott oben im Himmel auf Erden nur die USA und die UdSSR als Supermacht gegeben. Ein russischer Bischof hatte sogar erklärt, Putin sei Moses, der Russland wieder in das gelobte Land UdSSR zurückführen werde. Die russischen Sputnik News, die Stimme Putins im Netz, hatten verkündet, diese natürliche Weltordnung sei in Folge der Deutschen Einheit und des Volksverräters  Gorbatschow ins Wanken geraten  und müsse nun von russischen Patrioten und gut meinenden Weltbürgern wieder ins Lot gebracht werden.

Die Abteilung „Heilige Ordnung Russland“ sucht nach Hilfsbedürftigen

Die Abteilung „Heilige Ordnung Russland“ suchte im Moment fieberhaft nach neuen Orten, an denen Russland der Welt beweisen konnte, wie wichtig eine zweite Supermacht auf Erden sei. Die Methode war hinterhältig: Erst wurden Brandherde in Ländern solange geschürt, bis die Zahl der Toten nicht mehr zu übersehen war. Dann galt es, sich als Feuerwehr anzupreisen. Das hatte in der Ukraine fast geklappt, in Syrien schien die Rechnung nun aufzugehen. Das Motto hieß: So lange bombardieren, bis man an den Friedenstisch gebeten wurde. Dort nahm man dann als Supermacht Platz und ließ die Puppen tanzen. Es wurde gemunkelt, Putins Therapeut hatte ihm dieses als Therapie gegen seine düstere Stimmung empfohlen und gegen die schmerzhaften Entzugserscheinungen vom Stoffe „Supermacht“.

Die Abteilung „Heilige Ordnung Russland“ hatte ein Profil für Russland-Hilfsbedürftige aufgestellt. Die Länder mussten im Idealfall folgende Eigenschaften erfüllen:  Sie mussten sich in tiefer Feindschaft zu den USA befinden. Sie mussten im Inneren des Landes Feinde haben, gegen die eine Machtelite oder eine Gruppe Bewaffneter mit allen Mitteln bereit war, vorzugehen. Sie mussten so verzweifelt sein oder skrupellos, dass sie auch mit Putin paktierten und bereit waren, seine Waffen auf ihre eigenen Bürger loszulassen. Im Falle der Ukraine hatte das 2014 geklappt, und auch der syrische Diktator erfüllte diese Eigenschaften. Nun suchte die Gruppe noch auf dem afrikanischen Kontinent nach einem Einsatzort. Eritrea wurde gerade geprüft und schien für den Moses-Weg geeignet zu sein. Mexiko erfüllt einige, aber nicht alle Voraussetzungen. Die Abteilung versammelte sich jeden Abend in der bischöflichen Kathedrale und flehte dort um Eingebungen. Putin hatte ihnen eine Frist bis zum Jahresende gegeben. Sonst wollte er der Gruppe zur intensiveren Zusammenarbeit einen Workshop in Sibirien spendieren, hatte er angeboten.

Humpen Krieg und Hausverbot

Ferdinand wurde durch weitere Granateinschläge in Münster-Süd aus seinen philosophischen Gedanken gerissen. Geschosse schienen die Wohnung über der seinen zu durchjagen. Ferdinand riss den Nachtfeldstecher vor seine Augen. Er sah, wie der Designer mit Bierhumpen um sich warf. Er schien seine langjährige Sammlung bayrischer Bierkrüge entsorgen zu wollen in Richtung Ehefrau und Garten. Er brüllte dabei, das ließe er sich nicht mehr gefallen, genug sei genug und wieder flogen steinerne Bierhumpen auf den Parkettboden und aus dem Fenster. Seine Frau begleitete die Aktion mit schrillen Schreien, raste geduckt und den Bierhumpen ausweichend von Fenster zu Fenster.

Ferdinand war gleichzeitig beruhigt und enttäuscht. Münster-Süd wurde also nicht angegriffen. Seine Asi-Nachbarn hatten einen Ehestreit. Vor dem Hause war mittlerweile eine Streife angekommen, und einige Minuten später wurde ein schluchzender Designer aus dem Hause geführt. „So was kommt von so was“, murmelte Ferdinand beim Versuch, eine Logik zu erkennen. Vierzehn Tage würde nun vielleicht Ruhe herrschen, dann würde das Spiel von vorne losgehen. Szenen einer Ehe in Münster-Süd.

Kann Putin auch Ferdinand helfen?

Ferdinand beschäftigte seit dem vermeintlichen Bombenangriff die Frage, ob Putin oder die Abteilung „Heilige Ordnung Russland“ ihm auch helfen könnten. Aber die Designer über ihm erfüllten keine Kriterien für eine Hilfsaktion Russlands. Sie hatten gerade in den USA Urlaub gemacht und bewaffnet waren sie bis eben nur mit Humpen gewesen. Der Designer schien aus irgendeinem Grunde verzweifelt gewesen zu sein. Vielleicht war er auch skrupellos. In seiner Branche munkelte man einiges. Aber würde Putin deshalb Münster-Süd bombardieren?

Mit tiefen Sorgenfalten auf der Stirn stieg Ferdinand wieder in den dritten Stock des Mietshauses an der Hammer Straße. War Münster nun selbst gefordert? In Münster war der Dreißigjährige Krieg beendet worden. Münster hatte schon mal einen Vize-Kanzler gestellt. Warum sollte es in Münster nicht weitere Wunder geben?

Erste Veröffentlicht: 07.10.2015