Satire: Wertewandel in Deutschland

Ausschnitt aus dem Satire-Buch:

 

 

Ferdinand wird zum Öko-Opfer 

Ferdinand war die Treppe hinuntergestolpert. Sein Vermieter Helmut Hottrecke hatte die Zeituhr für das Treppenhaus auf 2 Sekunden gestellt. Trotzig hatte Hottrecke erklärt, er sei nicht bereit, Energie und damit letztlich die Erde zu opfern für faule Mieter, die ihrem Arsch nicht schnell genug die Treppe hinunterschwingen könnten. Sein umfangreiches Lichtprogramm im Hof, die 24 Stunden-Beleuchtung seines Gartenzwerg-Volkes im Garten, nebst Kamera Überwachung sei eine völlig andere Sache. Hier handle es sich um eine Angelegenheit nationalen Interesseses.

Ferdinand hatte es früh morgens gerade bis zur Hälfte der Treppe geschafft, als es stockdunkel im Hausflur wurde und er dann am Treppen-Aufgang über irgendwas gestolpert war. Hottrecke schlief in diesen Stunden noch den gesunden germanischen und zu schützenden Bären-Schlaf, so sein Aushang im Treppenhaus. Als Ferdinand wieder zu sich gekommen war, hatte er im fahlen Mondlicht, das durch das Oberfenster der Haustür den Flut matt beleuchte, einen Stapel Post gesehen, der vor Hottreckes Wohnungstür lag.

Hottrecke kann sich jede Menge Ethik kaufen

Er rappelte sich auf, und für genau zwei Sekunden hatte er Zeit, den Stapel näher zu betrachten. Es handelte sich um eine Ansammlung von Tageszeitungen und Werbepost, hauptsächlich von Möbelgeschäften. Ferdinands Kopf brummte, aber er erinnerte sich daran, dass Hottrecke ihm einmal anvertraut hatte, wer schön wohne, sei auch ein guter Mensch. Das sei wahre Ethik.

Hottrecke hatte die beiden Begriffe Ethik und Ästhetik lange Zeit für identisch zu halten. Das war bis zu dem Moment gutgegangen, als ein Mieter ihm vorgeworfen hatte, seine Mieter im Winter frieren zu lassen, sei unethisch. Den hatte er an den Haaren in seine Wohnung gezerrt und ihm seine neue Küche gezeigt. Ob das nicht voll krass ethisch sei, hatte er gebrüllt.

Ethik hatte der Mieter gezischt, sei der Unterschied zwischen Gut und Böse nicht zwischen Schön oder Hässlich. Als ob das nicht dasselbe wäre, hatte Hottrecke gebrüllt und dem Mieter über seinen Leib- und Magen-Anwalt, Dr. Theodor von Torf, umgehend die fristlose Kündigung zustellen lassen. Der Kündigungsgrund: sozial unverträgliches Handels. Im anwaltlichen Schreiben hatte es außerdem geheißen, das Auftreten des Mieters sei substantiell als Beleidigung des Vermieters zu werten, sein Eindringen in den Herrschaftsbereich des Vermieters  ein klarer Hausfriedensbruch. Hottrecke hatte darauf bestanden, dass in das anwaltliche Schreiben aufgenommen worden war, wer über zu kalte Wohnungen meckere, solle sich gefälligst wärmer anziehen oder sich warme Gedanken machen.

Hottrecke hatte seiner Frau am gleichen Abend voller Empörung von dem Vorfall erzählt und erklärt, wenn einer eine alte Küche nicht von einer neuen Küche unterscheiden könne, dann habe der in seinem Haus nichts verloren. Dem mangle es eben an Ethik. Er habe jede Menge davon und er könne sich noch jede Menge kaufen.

Hottrecke und die Selbstschussanlage aus der DDR

Nun war Ferdinand über den Berg von Zeitungen gestolpert, den Hottrecke auf der Treppe hatte lagern lassen. Er hatte seine Nachbarin gebeten, die Post auf dem Treppenabsatz vor seiner Wohnung zu stapeln, aber bitte keineswegs in die Wohnung zu gehen. Die Wohnung sei durch eine Selbstschussanlage gesichert. Er habe diese von einem Sammler aus der DDR gekauft, der hervorragend Kontakte zu den Schätzen der ehemaligen DDR-Armee, der NVA, habe. Echte deutsche Wertarbeit. Leider habe er vor der Wohnung keinen Todesstreifen anlegen dürfen, das Bauamt der Stadt Münster habe sich quergelegt. Diese Beamten-Ärsche hätte eben kein Gefühl für Recht und Ordnung.

Hottrecke wohnt in der Südmark – früher Mallorca

Hottrecke hatte sich auf Mallorca eine Finca zugelegt.  Er hatte sich lange Zeit schwer- getan mit dem Begriff „Finca“. Am Anfang hatte er die Behauptung seiner Nachbarn in Münster empört zurückgewiesen, er habe eine „Finca“.  Er möge keine Finken hatte er erklärt und er habe weder eine Lerche noch eine Meise auf Mallorca. Dieses seien deutsche heimische Vögel.

Er habe sich auf Mallorca einen alten Bauernhof gekauft, einen Kotten sozusagen, den wolle er nun wieder auf Vordermann bringen. Mit Vögeln habe das nichts zu tun. Und er möchte auch nicht in die Nähe eines Finken gerückt werden. Er sei weder ein Schmutzfink noch ein sonstiger Fink. Er weise diese Unterstellung mit Empörung zurück. Auch Wortspiele hinsichtlich seines Sexualverhaltens, von wegen „Finca“ entbehrte jeder Grundlage. Er habe seinen Rechtsanwalt Dr. Theodor von Torf angewiesen, diese Unterstellung auf das Schärfste zu verfolgen.

Hottrecke spendet nicht

Ferdinand hatte bei einer weiteren Betätigung des Lichtschalters festgestellt, dass auch der Post-Berg sich in der Substanz geändert hatte. Noch vor einen halben Jahr hatte Hottrecke großen Wert darauf gelegt, Bettelbriefe von Pro Asyl oder Brot für die Welt zu bekommen. Er hatte diese eine Zeit lang vor seiner Haustür liegen lassen. Erst wenn er sich sicher war, dass alle Mieter die Briefe gesehen hatten, hatte er diese umgehend in die Tonne für Altpapier entsorgt. Selbstverständlich hatte er nicht gespendet. Er war der Meinung, die Natur werde schon dafür sorgen, dass Starke und Gute, eben gut eingerichtete Menschen, überleben würden. Auf den Rest unethischer Menschen könne man verzichten, fand er.

Außerdem locke man mit solchen Aktionen nur die falschen Menschen an. Wer sich gehörig anpasse an eine bestehende Ordnung, der brauche nirgends ein Asyl. Er hatte seinem Anwalt erklärt, Meckerpötte habe er in seinem Haus schon genug wohnen.

 Neue Zeitungen von Hottreckes Haustür

Ferdinand hatte im dem nunmehr umgefallenen Haufen Papier Zeitschriften mit ganz neuen Titel entdeckt. Zu sehen war die Zeitschrift: „Meine Heimat“ oder das „Deutsche Soldatenblatt“ oder ein Magazin in schlichtem Braun: „Geschmackvoll wohnen auf arische Art“. Ferdinand war erschüttert gewesen. Hatte sich der Postbote arg vertan oder hatte sich die nach außen getragene Meinung Hottreckes so gewandelt?

 Hottreckes Zeitwohnsitz in der Südmark ( Mallorca)

An die Tür hatte Hottrecke ein Papier geklebt auf dem zu lesen war,  in dringenden Fällen sei die Post in der Zeit von Oktober bis März nachzusenden an „ Hottrecke Kotten – Südmark (früher Spanien – Mallorca). Einem Bewohner dieses  Hauses in der Süd-Stadt Münsters hatte Hottrecke erklärt, eigentlich habe er einen Kotten in der Lüneburger Heide erwerben wollen.

Seine Frau aber habe gemäkelt, bei aller Liebe zur Tradition, der Anblick der Heidschnucken sei weniger wärmend als die Sonne Spaniens. Aber, hatte sie hinzugefügt, er müsse sich nicht grämen, es sei sowieso nur eine Frage der Zeit,  bis auch dieses Gebiet als 17. Bundesland in Deutschland eingemeindet werde. In Rentnerkreisen spreche man von der Insel seit langem als der „Südmark“ und einen König von Mallorca habe man auch schon gewählt, als Übergangslösung.

Die Visitenkarte und alte Tradition

Beruhigt hatte Helmut Hottrecke sich Visitenkarten drucken lassen, auf denen zu lesen war: Helmut Hottrecke. Winter-Wohnsitz:  Südmark – Hottrecke Hügel. Vielleicht greife er der Zeit ein wenig vor, hatte der Drucker in Deutschland gemeint. Dann aber hatte er angeregt, auf die Visitenkarte den Leitspruch drucken zu lassen: „Am deutschen Wesen mag die Welt genesen“. Sein Großvater habe in dieser Traditions-Druckerei mit diesem Philosophen Satz im letzten Jahrhundert bereits gute Geschäfte gemacht.