Volker Pispers: linker Kabarettist und virtuoser Körper-Sprach-Künstler

Artikel aus dem Themenbereich: Körpersprache und Rhetorik

Pispers polarisiert die Kulturwelt

Er sei eine Kabarett-Ikone schrieb ein Sport-Journalist der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) im Jahre 2023 bewundernd über Volker Pisper. Da befand sich Volker Pispers bereits seit acht Jahren im Kabarett-Ruhestand. Er wurde am 18. Januar 1958 im rheinländischen Rheydt geboren. 

Pispers polarisiert die Kulturwelt. Der Journalist Jan Fleischhauer schrieb 2015 im SPIEGEL,“ Wer wissen will, worüber der Sozialdemokrat lacht, ist bei Volker Pispers an der richtigen Adresse. Der Mann fällt nach meiner Meinung eindeutig in die Kategorie des öffentlich-rechtlichen Hanswurstes, wie der unbestechliche Hilmar Klute die Spaßbeauftragten nennt, die seit drei Jahrzehnten das deutsche Fernseh-Kabarett bevölkern. Aber sein Publikum frisst ihm jede Pointe dankbar aus der Hand“. Satire darf alles, sagte Kurt Tucholsky über den Freiraum der Satire. Pispers macht davon reichlich Gebrauch. Pispers Satire ist politisch, ist kein Klamauk. Pispers Satire ist keine Comedy, kein gefälliger Nonsens-Talk.

Pispers und die Sprache als Charme-Attacke

Pispers verfügt über eine bemerkenswert ausgefeilte Körpersprache, er hat das Theater-Spiel gelernt. Es ist reizvoll, die Körpersprache von Pispers zu analysieren, weil es ihm gelingt, seinen rheinischen Dialekt kommunikativ einzusetzen. Diese Sprachebene darf nicht unterschätzt werden. Der Anthropologe Albert Mehrabian erklärt, die Wirkungen einer Botschaft sei nur zu 7 Prozent verbal. Zu 38 Prozent sei die Botschaft vokal (Nuancen der Stimmlage und stimmliche Äußerungen ohne Worte). Zu 55 Prozent sei die Botschaft in der Wirkung nonverbal, gemeint sind die Signale der Körpersprache. Mehrabian findet viel Zustimmung unter Körpersprachlern. Andere widersprechen ihm heftig.

Pispers nutzt seine Mundart und die damit assoziierte „Harmlosigkeit des Rheinländers“ als „Trojanisches Pferd“, um inhaltlich mit schneidender Schärfe über seine politischen Gegner herzufallen. Dialektfärbung verleiht der Sprache einen hohen individuellen Ausdruck, ist somit in ihrer Wirkung vertrauensbildend, sagt der Körpersprachler Maletzke. Das „Main Echo“ nennt Pispers 2012: „direkt, spitz und bisweilen bitterböse“.

Pispers große Tour und ein jähes Ende

Von 2002 bis 2015 tourte Pispers mit seiner One-Man-Show „Bis neulich“ durch die deutschen Regionen. Er lästerte auf der Bühne über damals aktuelle Politiker wie Angela Merkel, den Grünen Jürgen Trittin oder den Ex-Bundespräsidenten Joachim Gauck, weniger über Die Linke oder über Wladimir Putin, den Präsidenten Russlands.

2015 beendete Pispers diesen Bühnen-Marathon mit lautem Knall. Im Jahre 2015 moderierte er die Verleihung des Kleinkunst Preises. Er überzog heftig, indem er den bekannten Kabarettisten Dieter Nuhr den humoristischen Arm der Pegida-Bewegung nannte. Über die USA erklärte er, „Die Vereinigten Staaten von Amerika haben in den letzten vierzig Jahren noch mit jedem Schwein und Verbrecher auf der Welt zusammengearbeitet, solange die wirtschaftlichen Interessen der amerikanischen Groß-Konzerne gewahrt geblieben sind“. Volker Pispers trat nach 2015 nicht mehr öffentlich auf.Der virtuelle, im Internet präsente Pispers, aber hatte allein im Jahre 2023/24 siebzehn Internet-Veröffentlichungen mit einer jeweiligen Klick-Schätz-Zahl von 0.5 Millionen. Diese Videos basieren auf seiner Schaffenszeit vor 2015.

Der virtuelle Volker Pispers in der Analyse

In den Videos zeigt Pispers die meisterhafte Beherrschung der Körpersprache auf der Kabarett-Bühne, er arbeitet virtuos mit den dramaturgischen Mitteln der Körpersprache. Im Bereich der Mimik dominiert der Vollbart, an den Wangen ausrasiert. Das schlankt den vollschlanken Pispers im Gesicht. Pispers biedert sich dem Publikum körpersprachlich an. Er strahlt sein Publikum mit großen Augen an. Wenn er seine Angriffe ins Publikum raushaut, lacht er manchmal mit. Alles nur ein Scherz, sagt der geneigte Kopf, die einladend ausgebreiteten Hände. Das Lachen bleibe den Zuhörern aber im Halse stecken, ist über seine Kabarett-Vorstellungen zu lesen. Farblich dominiert bei Pispers das Schwarz. Schwarz kaschiert den fülligen Körper, lenkt den Blick auf seine Hände, die seine Worte unterstreichen.

Pispers und die paradoxe Kommunikation

Pispers nutzt die paradoxe Kommunikation, um seine Satire zu unterstreichen. Die paradoxe Kommunikation sendet zwei   widersprüchliche Botschaften gleichzeitig. So kann eine verbale Botschaft, ein Angriff z.B., mit einer nonverbalen Botschaft verknüpft sein, z.B. einem Lächeln. Diese inkonsistente Kommunikation hat oft einen humorvollen Charakter.

Wenn Pispers den US- Geheimdienst NSA, übersetzt als „Nikolaus sieht alles“, ist das noch lustig. Er begleitet diesen Gag mit verschmitztem Lächeln. Doch das Lächeln ist nicht echt. Bei einem echten Lächeln werden die Ringmuskeln um die Augen herum aktiviert und die Augen leuchten. Pispers zeigt ein kalkuliertes kaltes Theater-Lächeln. Das erste Paradoxon.

Hat er die Lacher erst einmal auf seiner Seite, erklärt er, der Nikolaus in den USA hieße Obama. Der mache keine Gefangenen mehr, und der habe eine Rute, die ferngesteuert sei. Pispers sagt, „Das ist eine Drohne, die wird mit einem Joystick gesteuert. Da sitzen die Experten am Joystick und holen sich ein paar Terroristen runter.“ Das ist inhaltlich eine paradoxe Verknüpfung vom Nikolaus und Barak Obama mit Mord und Sex. Es raubt dem Zuschauer den Atem. Bevor der Zuschauer aber nachdenken kann, attackiert Volker Pispers weiter, führt sein Publikum in die nächste Lach-Logik hinein, die nicht selten damit endet, dass der Westen ein „Schweinesystem“ sei. Er bombardiert sein Publikum drei Stunden mit Pispers-Charme und Polit-Botschaften. Er sei sich wie ein Wanderprediger vorgekommen, erklärte er am Ende seiner Bühnentage. Verändert habe er nichts.

Zur nonverbalen Kommunikation gehören auch die paralinguistischen Aspekte, also die Art und Weise, wie Menschen miteinander reden. Diese Formen variieren von Kultur zu Kultur. So gibt es beispielsweise Völker, die gerne und viel reden, oft nur um des Redens willen. Pispers arbeitet mit der Bühnen-Figur des leicht geschwätzigen Rheinländers. Pispers praktiziert dabei rhetorisch einen „Roll- Over“. Wie eine Dampfwalze plättet er sein Publikum in einer drei Stunden-Kabarett-Sitzung mit seiner Logik, seinen Fakten. Ein Wortwitz jagt den anderen und das Publikum kann ihm kaum folgen. Widerspruch und Nachdenken haben keinen Raum in seinem Kabarett. Er gebe kaum Interviews, klagen Journalisten.

Die Frage ist, welche Form des Theaters Pispers anstrebt. Ist es vielleicht das epische Theater von Berthold Brecht? Diese Theater-Form soll nach Brecht über die politischen Möglichkeiten aufklären und zugleich unterhalten. Es soll den Zuschauer handlungsfähig machen, das Publikum soll erkennen, dass die politische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Situation, in der es sich befindet, veränderbar ist.

Pispers und das Neurolinguistische Programmieren (NLP)

Pispers nutzt für seine „Predigten“ eine Strategie, die ironischerweise aus den bei ihm unbeliebten USA kommt, das Neurolinguistische Programmieren (NLP). NLP wurde in den USA anfänglich als eine Verkaufsstrategie genutzt. Der Verkäufer kopiert dabei das Denk- und Verhaltensmuster des Käufers, schafft dadurch als ersten Schritt Nähe und Vertrauen, einen sogenannten Rapport. NLP wird heute auch von vielen Politikern eingesetzt. Putin ließ sich darin vom teuersten Trainer der Welt unterrichten, dem Australier Allan Pease und auch Donald Trump arbeitet mit der Methode. Ob Pispers diese Strategie bewusst nutzt oder ob es sich um Theater-Dramaturgie handelt, sei dahingestellt.

Pispers baut im Kabarett zum Publikum ein Vertrauen auf, er schafft einen „NLP-Rapport“. Ein Blick ins Publikum zeigt zumeist den kritischen Bildungs- und Wohlstandsbürger. Pispers geht sprachlich auf diese Menschen ein, spiegelt ihre Werte und Sprachwelt, er baut ein Wir-Gefühl auf. Jan Fleischhauer, „Wer wissen will, worüber der Sozialdemokrat lacht, ist bei Volker Pispers  an der richtigen Adresse.“ Fairerweise muss man sagen, dass die Bewunderung für Putin in der SPD spätestens nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine der Vergangenheit angehört.

Pispers verknüpft den Rapport zum Publikum, eine rhetorisch aufgebaute „Herzenslinie“, mit einer positiven Körpersprache, einem breiten Lächeln, ausgebreiteten Armen und dem rheinischen Sing-Sang. Wenn er den naiven Rheinländer spielt, schrägt er dabei den Kopf an. Er offeriert seine Wahrheiten, kombiniert mit der Angebotsgeste, den offenen Handflächen mit ausgebreiteten Händen. Er breitet die Arme voller Unschuld aus. Ist ihm der „Rapport“, die Herzens-Linie, gelungen, lacht und kichert das Publikum wie gewünscht, dann hat er einen „Anker“ gesetzt. Die gedankliche Nähe ist mit Worten und Körpersprache verknüpft. Diesen Anker kann ein geschickter Kommunikator beliebig auslösen.  Dann setzt das „NLP-leaden“ ein. Ausgehend vom erarbeiteten Vertrauen führt Pispers sprachlich zu seinen Themen und attackiert weiter. Er steigt dabei vom Kabarett-Spaß um auf Belehrung. Sichtbar wird ein „wild agitierenden Pispers„, schreibt ein Kulturkritiker 2015.

Seine Stimme wird dann härter, die Muskulatur strafft sich. Erlahmt der Applaus, löst Pispers den „Anker“ mit einer Charme-Offensive aus und nimmt alle wieder für sich ein, mit Wortwitz und Lachen, er versucht es zu mindestens. Am Ende seiner großen Tour, im Jahre 2015, gelingt das immer weniger. „Er kämpft, er spuckt und mahnt, und manchmal ist das nicht mehr Kabarett, sondern Indoktrination-etwas ziemlich Verzweifeltes jedenfalls „, schreibt die Rheinische Post 2015 über ihn.

Der real lebende Volker Pispers wird heute von der virtuellen Legende Volker Pispers verdrängt. Seine unverändert ausgestrahlten Videos lassen die Frage zu, ob Pispers den veränderten historischen Kontext nicht sieht oder nicht sehen will.