Satire: Charlie, die Seherin aus Münster

Ausschnitt aus der Münster-Satire: Hotte-Hoppe-Heiter

Therapie und Blasen- und Nierentee bei Charlie

Das Telefon auf Hottes Schreibtisch hatte lange geklingelt. Hotte, ein Vermieter aus Münster, hatte den Hörer mürrisch abgenommen und es sofort bereut. Wie es ihm gehe, hatte Charlotte von Torf, von allen Charlie genannt, in Hottes Ohr geflüstert. Hotte hatte den Hörer entsetzt aufgelegt. Sofort hatte sich seine Blase gemeldete und ihn an den Nieren- und Blasen-Tee erinnert, der ihm bei der ersten und letzten therapeutischen Sitzung bei Charlie serviert worden war. Seine Mörderwut auf Mieter Ferdinand hatte nicht nachgelassen. Somit war das Ziel der Therapie nicht erreicht worden. Zu seiner Wut  war eine peinliche Blasenschwäche für einige Tage hinzugekommen. Er hatte ihr keinen Cent an Honorar gegeben. Stattdessen hatte er den Satire Coach Münsters erfolgreich  gebucht. Der hatte es geschafft, seine Wut in Kreativität umzuwandeln.

Charlotte war die Schwester seines Rechtsberaters und Freundes, Dr. Theodor von Torf. Sie hatte nach zweimalig vergeblichem Versuch, das zweite juristische Staatsexamen zu bestehen, sich erst in eine Depression geflüchtet und dann in die Spiritualität. Mit Engeln zu sprechen, sei erquicklicher als mit Rechtsgelehrten und Straftätern, erklärte sie seither. Sie war auch als Lebensberaterin tätig. „Those, who can´t do it, teach it“, zitierte sie gerne den britischen Schriftsteller George Bernard Shaw. „Wer´s nicht kann, der lehrt es“, stand auch an ihrer Wohnungs-Tür. Von irgendwas müsse sie leben, hatte sie ihrem Bruder Theodor erklärt. Der versorgte sie seither mit verzweifelten Klienten aus seiner Kanzlei. So hatte auch Hotte zu ihr gefunden.

Charlie verlangt mehr Respekt für sich als spirituelle Person und sucht eine Angebots Nische

Charlie war nach dem Hotte-Gespräch sehr gekränkt gewesen. In ihrer Heimatstadt Münster begegne man ihr nicht mit der gebührenden  Ehrfurcht, der einer Vertreterin des geistigen Standes zukomme, fand sie. Keiner in Münster würde es wagen, den Pastor zu fragen, wie es komme, dass das Reich Gottes auf Erden, speziell in Münster, so sündig sei. Doch die Bäckerin in ihrer Straße hatte sie grienend gefragt, ob sie auch die richtigen Lotto- Zahlen vorhersagen könne. Von einem Zahnarzt erwarte sie auch, dass er gesunde Zähne habe. Charlie hätte vor Wut heulen können. Aber ihr war klar geworden, dass sie ein attraktives spirituelles Angebot finden musste. Sie hatte sich auf die Suche begeben.

Charlotte hatte bei einem spirituellen Top Kollegen, dem Bischof Münsters, am Sonntag  im Dom reingeschaut, um von dessen spiritueller Performance zu lernen, so ihre Worte. Diesen Aufwand könne sie nicht leisten, hatte sie ihrem Bruder Theodor dann traurig erzählt. Da könne sie nicht mithalten. Die Performance sei super. Die Jungs hätten sich eine eigene Dauer-Bühne gebaut, nannten es Kirche. Sie hätten originelle Klamotten in allen Farben für alle Anlässe entwickelt. Man arbeite mit eigener Musik und eigenen Chören. Das Publikum habe größtenteils Dauer-Eintrittskarten. Das Geld für Bühne, Tickets und Gehälter für die Bühnen Truppe werde vom Staat erhoben und dem  Club überwiesen. In der ersten Reihen der Vorstellung habe sie die Prominenz der halben Stadt gesehen und die Chefs der Kliniken und Verwaltungen des Münsterlandes.

Da könne sie nicht mithalten, hatte sie erklärt. Sie müsse wohl weiterhin die Hilfe derer von Torfs in Anspruch nehmen. Professionell  müsse sie sich vielleicht einen Nischen-Platz im Bereich des Spirituellen suchen. Sie arbeite bislang in ihren Sitzungen mit Tee und Kerzen. Manchmal setze sie auch schöne Kieselsteine und Räucher- Stäbchen ein. Der große Durchbruch sei ihr aber bislang nicht geglückt. Charlies spiritueller Service bestand darin, Freudinnen in Herzensangelegenheiten zu beraten und dabei einen Blick in die Zukunft zu wagen. Ihr Motto lautete: „Zwei und Zwei sind Vier und mit des Sehers Wissen sogar Fünf“.

Charlie, die Corona Botin

Dann aber schien ihr das Glück in die Hände spielen zu wollen. Ihr Freund  Anton war an Corona erkrankt. Das hatte ihn nicht davon abgehalten, zum Stammtisch zu gehen. Er und  andere hatten dort erklärt, Corona sei eine Erfindung der Pharmaindustrie. Zwei Tage nach dem Stammtisch hatte Charlotte sich elendig gefühlt. Ein Corona Schnelltest hatte ein positives Corona- Ergebnis angezeigt.

Charlotte hatte sich erst seufzend in ihr Schicksal ergeben. Dann war ihr die einmalige Chance bewusst geworden, die ihr Corona bot. Sie hätte gerne um den Tisch getanzt und gejubelt, „welch ein Glück das keiner weiß, dass ich Corona-Charlie heiß“. Doch dazu fühlte sie sich zu müde. Sie hatte sich einen starken Kaffee gemacht und dann die „Charlotte-Seher Aktion“ gestartet. Als erstes hatte sie ihre beste Freundin Elke in deren Reisebüro besucht.

Sie hatte sich einen guten Kaffee kredenzen lassen und war vertraulich nahe an Elke herangerückt. Sie hatte ihr tief in die Augen geschaute und mit tragischer Stimme erklärt, sie habe heute Nacht geträumt, Elke werde an Corona erkranken. Sie solle sich schon mal auf anstrengende Tage vorbereiten. Dann war Charlie weitergeeilt. Sie hatte gefühlte, dass ihre Kräfte schwanden und sie hatte noch eine längere Liste von Freundinnen sehertechnisch abzuarbeiten.

Drei Tage später hatte die lokale Presse angefragt, ob sie bereit sei, ein Interview zu geben über ihre seherischen Fähigkeiten. Charlotte hatte im Interview erklärt, es fehle in dieser Computer Welt der Respekt vor übernatürlichen Dingen und transzendentalen Erkenntnissen. Sie stehe gerne bereit, Freundinnen  und Anderen zu helfen, das Leben durch die Kraft spiritueller Vorhersage zu meistern. Gerade heute habe sie den Eindruck, eine Grippe-Welle sei im Anmarsch. Sie habe bereits leichtes Fieber bei sich gemessen. Jetzt gelte es, die Freundinnen seherisch zu bedienen. Gerne lasse sie sich im Gegenzug zu Kaffee und Kuchen oder mal zu einer Reise einladen. Die Pflege nutzbarer Geister dürften die Menschen sich schon mal was kosten lassen. Auf Dauer plane sie den spirituellen Kreis „Seherin Charlotte“ zu gründen. Dann werde man weitersehen. Die Katholiken hätten auch ganz klein angefangen. Sie habe gehört, die Gründer Versammlung dieser spirituellen Gemeinde habe vor zweitausend Jahren irgendwo im Orient in einem Rinder- und Schafsstall stattgefunden.

Charlotte hatte ihrem erfolgreichen Bruder Theodor von ihrem Business Plan berichtet und ihn angefeixt. Der hatte ihr missmutig den monatlichen Scheck von dreitausend Euro aus dem Fonds derer von Torf rübergeschoben. Adel verpflichte, hatte er Freund und Klient  Hotte einmal erklärt. Der Name von Torf stehe in Münster für gediegenen Wohlstand. Das könne mitunter was kosten. Er überlege, aus der Kirche auszutreten. Er finanziere jetzt seinen eigenen spirituellen Club, wie es aussehe.