Adrian Ursache: Der Abstieg vom Model zum gefährlichen Reichsbürger

Vom Wut-Bürger zum Kriminellen

Adrian Ursache ist ein „erschreckend gutes Beispiel“ für den Werdegang des Wut-Bürgers zum gefährlichen Reichsbürger. Der frühere Dressman steht seit Oktober 2017 vor Gericht. Er gilt als gefährlich, wird in Hand- und Fußfesseln in das Gericht gebracht. Der Vorwurf gegen ihn lautet unter anderem: versuchter Mord.

Mit ihm ist die Reichsbürger-Bewegung angeklagt, die das Potential hat, eine neue RAF zu werden, diesmal wäre es eine „Spießer RAF“. Bei Adrian Ursache ist  der gefährliche Dreiklang gegeben: Kränkung-Wut-Gewalt.

Die Kränkung: Adrian Ursache scheitert und ist sauer

Adrian Ursache, Mister Germany aus dem Jahre 1998 ist ein studierter Wirtschaftsfachmann  für internationalen Handel. Sein Abschluss: Executive Master of Business Administration. Sein Lebensplan sieht nach erfolgreicher Arbeit als Führungskraft in Mobilfunkunternehmen und der Solarenergie vor, mit der eigenen Solarfirma reich zu werden. Die Finanzkrise im Jahre 2007 schädigt ihn, wie viele andere, wirtschaftlich. Er weigert sich fortan jahrelang, Schulden für sein Haus zu bezahlen. Seine Schulden belaufen sich schließlich auf 150.000 Euro und sein Haus wird im Jahre 2016 zwangsversteigert. Adrian Ursache betrachtet sich als Opfer des Systems. Er stellt seitdem das Bankensystem infrage und das gesamte Rechtssystem. Er ist gekränkt, weil sein Selbst-Bild des erfolgreichen Geschäftsmannes gescheitert ist und der Wirklichkeit (Fremd-Bild) nicht standhält.  Der Reichsbürger-Experte Jan Rathje spricht vom biographischen Bruch als typischen Start einer  Reichsbürger-Karriere.

Die Antipathie/Wut: Adrian Ursache rastet aus.

Im Jahre 2015 gründet Ursache auf seinem Grundstück den souveränen Staat Ur. Er entwirft eine eigene Flagge, stellte eigene Gesetze auf. Videos aus dieser Zeit zeigen, wie er Staatsbeamte heftig beschimpft. Er entwickelt eine heftige Antipathie gegenüber dem Staat und seinen Organen. Er veröffentlicht sogar eine Morddrohung gegen einen Gerichtsvollzieher im Internet. Er beleidigt jeden Gesetzesvertreter, der sich seinem Scheinstaat nähert. Er entwickelt den für Reichsbürger typischen Wahn.

Reichsbürger haben sich in eine Welt begeben, die viele Beobachtern wahnhaft nennen. Als Wahn gilt eine Vorstellung, an der jemand trotz der Unvereinbarkeit mit der objektiv nachprüfbaren Realität unbeirrt festhält. Der Reichsbürger erkennt die Bundesrepublik nicht an, spricht Behörden und Gerichten die Legitimität ab und behauptet, das Deutsche Reichbestehe bis heute fort in den Grenzen von 1937. Das ist die gemeinsame Grundlage vieler Reichsbürgergruppen unterschiedlichster Formen und Ausprägungen.

Die Permissivität von Gewalt: Adrian Ursache erlaubt sich, Gewalt anzuwenden

Bei Adrian Ursache scheint der Übergang von der Antipathie zu Permissivität von Gewalt fließend zu sein. Er schreibt dem Amtsgericht: „Sie haben keinerlei Befugnisse, in den Staat Ur einzureisen. Sollten Sie es dennoch tun, wird das als terroristischer Akt betrachtet sowie als Kriegserklärung.“ Als im August 2016 SEK-Beamte das Grundstück stürmten, um eine angekündigte Zwangsvollstreckung durchzusetzen, macht er von einer illegalen Waffe Gebrauch. Zwei Polizisten werden angeschossen. Er wird des versuchten Mordes angeklagt. Eine wichtige Frage lautet, ist der Fall Adrian Ursache ein Einzelfall oder ein gefährliches Muster?

Der Reichsbürger: ein gefährliches Zukunftsphänomen?

Die Zahl der Reichsbürger ist in den Jahren 2017/18 um knapp die Hälfte auf 18.500 gestiegen. Bislang toben sich Reichsbürger eher auf einer regionalen Ebene aus. Sie kreuzen die Reichsbürger-Klinge gerne mit lokalen Behörden und Gerichten. Einzelpersonen verfügen jedoch über Waffen und haben diese bereits als Einzelpersonen eingesetzt, eine „Spießer-RAF“ formt sich. Es gibt bereits einzelne Kommando-Strukturen, Terror-Trainings, aber keine einheitliche Kampf-Philosophie aller Reichsbürger. Das Bundeskriminalamt (BKA) traut 800 rechtsextrem eingestellten Reichsbürgern Terroranschläge zu. Bis 2017 ordnet das BKA insgesamt 13.000 Straftaten Reichsbürgern und Selbstverwaltern zu. 750 Taten waren Gewaltdelikte, 700 Straftaten richteten sich gegen Mitarbeiter von Behörden.

Zur Gefährlichkeit einer Gruppe zählt auch die Bereitschaft einzelner aktiv zu werden. Die Gefahr der sich selbst radikalisierenden Menschen ist vorhanden, wie auch die Gefahr der Gewalt-Dynamik innerhalb der Kommunikation der selbsternannten Reichsbürger.

Der typische Reichsbürger ist, so der Verfassungsschutz, männlich, über 50, sozial isoliert und überschuldet. Erst spät – meist nach dem 50. Lebensjahr – tritt er der Gruppe bei und wird sie wahrscheinlich zu Lebzeiten nicht mehr verlassen.

Und je intensiver sich der Staat mit all seinen Organen mit den Reichsbürgern beschäftigt, umso mehr werden gezählt, umso mehr Waffen werden ihnen zugeordnet.

Überschuldung und Reichsbürger

Die Zahl der überschuldeten Menschen steigt seit Jahren. 2017 gelten rund 7 Millionen Menschen in Deutschland als verschuldet, d.h. sie können ihre laufenden Ausgaben nicht mit ihren Einnahmen decken. Dabei ist die Verschuldung längst nicht mehr ein Problem der Deutschen mit  geringem Einkommen. Im Gegenteil: 2018 stammen alle neuen Überschuldungsfälle aus der Mittelschicht, so der Schuldner Atlas Deutschland. Zurzeit sind mehr als zehn Prozent der Erwachsenen in Deutschland überschuldet. 4,2 Millionen davon sind männlich. In Nordrhein Westfalen (NRW) liegen die Städte mit der höchsten Überschuldungsquote. In Essen, Duisburg und Dortmund sind rund 18 Prozent der Einwohner über 18 Jahren verschuldet. Die Zahl der Reichsbürger hat in NRW am meisten zugenommen.

Wenn sich hier die Reichsbürgerbewegung andient mit der Behauptung, die Vollmacht von Gerichtsvollziehern seien nicht rechtens und die Gründung eigener Staaten auf dem eigenen Grundstück löse alle Probleme, dann kann es gefährlich werden für diejenigen, die den Rechtsstaat in diesem Bereich durchsetzen müssen. Aber gefährlich kann es für alle Staatsdiener werden. Die neue und alte Reichsbürger-Wahn Welt erträumt sich die Wirklichkeit in großen Modellen. Erst die komplette Ablehnung der bestehenden Ordnung schafft Raum für neue Königreiche, Ämter und Währungen, Personalausweise, Führerscheine, Banken und Versicherungen und alle damit zusammenhängenden Behörden.

Wenn diese Flucht-Traumwelten mit der Wirklichkeit gefährlich kollidieren, d.h. die Reichsbürger hier zum Umsetzung bzw. zur Verteidigung ihrer „Wirklichkeit“ bereit sind, Gewalt einzusetzen, dann ist der Staat stark gefordert. Wichtig ist nun, Strategien zu erarbeiten, um Menschen davon abzuhalten, den Reichsbürgern ins Netz zu gehen. Mitarbeiter in Behörden müssen im Umgang mit dem Reichsbürger geschult werden.

Politisch sind die Strukturen abzubauen, die ursächlich sind für die Verschuldung / Überschuldung. Und es gilt Wege zu finden, Wut und Frust politisch zu diskutieren und  Gewalt zu ächten.