Good Bye Putin

 

23.9. 2022 – aktualisierter Artikel vom 15.4.2015

Der plötzliche Tod hat in Russland Tradition

Im März 2015 verschwand der russische Präsident Wladimir Putin ohne Angabe von Gründen für einige Wochen aus der Öffentlichkeit und tauchte dann ebenso kommentarlos wieder auf. Das war die Gelegenheit, sich über das Leben und Ableben russischer Politiker Gedanken zu machen. Ist Wladimir Putin krank oder tot, verhaftet oder gar erschossen oder ist alles nur ein Fake, um seinen Wert zu steigern, hieß es im März 2015. Alles schien möglich.

Die russisch/sowjetische Geschichte  und gewaltsame und heimliche Abgänge großer Chefs

Die russisch/sowjetische Geschichte ist voller gewaltsamer und heimlicher Abgänge. Die Zarenfamilie wurde 1918 ermordet und dieses Verbrechen lange verschwiegen. Lenins Tod (1924) beendete ein verheimlichtes Siechtum. Stalins Tod als Folge eines Hirnschlages im März 1953 kam überraschend, wurde von seinen Mitstreitern aus dem Politbüro nicht verhindert und paralysierte die sowjetische Politik anschließend Monate lang. Diese Ära endete mit der Erschießung des Mitbewerbers um die Macht, des Geheimdienstchefs Lawrenti Beria, vier Monate später. Es begann die Politik des „ politische Tauwetters“ unter dem neuen Staats- und Regierungschef Nikita Chruschtschow, die 1964 mit seiner Verrentung endete. Chruschtschow traute sich danach allerdings nicht, seine Memoiren unter eigenem Namen zu veröffentlichen.

Michael Gorbatschow entmachtete sich selbst (bislang einmalig) und hatte danach mit existentiellen Problemen zu kämpfen. Um zu überleben, verneigte er sich vor der Macht Putins bis hin zur Selbstverleugnung. Er pries Putin als Russlands Retter und  war gezwungen, jedwede finanzielle Hilfe aus dem Ausland abzulehnen. Als Putin Nicht- Regierungsorganisationen (NGOs) mit ausländischer Hilfe als „ausländische Agenten“ brandmarkte, ging dem Reformer das Geld aus.

Die ehrenvolle Verrentung eines sowjetisch /russischen Politikers war bislang so selten wie die Verrentung eines Papstes. Putin war im Frühling 2015 mehrere Wochen nicht mehr in der Öffentlichkeit aufgetaucht. Die Kaffeesatzleser des Kremls hatten Konjunktur und es war Zeit, sich Gedanken zu machen, was wäre wenn…. Die Eroberung der Krim durch Russland im Jahre 2014 hatte die Weltöffentlichkeit geschockt. Ein Leben ohne Putin erschien jedoch nur unter großen Risiken möglich. Man arrangierte sich mit ihm.

Putins Präsidentschaft: ein ständiger Verfall der politischen Kultur

Putin war in den Jahren seit seiner erneuten Präsidentschaft (2012) zum moralischen Autisten mutiert. Er schottete sich gedanklich und medial vom Rest der Welt ab. Er lebte, sagte Angela Merkel 2014 „in seiner eigenen Welt“. Die Grundlagen der internationalen Weltgemeinschaft, die UN-Charta und den Gedanken der territorialen Unversehrtheit von Drittstaaten ignorierte er zunehmend. Der Gedanke der russischen Nation, eines Neurusslands, waren zum Wertmaßstab seines Handelns geworden, er trickste und täuschte skrupellos.

Die Erklärungen Putins zur  Besetzung der Krim, heimlich geplant und durchgeführt und lange geleugnet, waren ein weiterer Beweis. Die Friedensaktionen „Minsk eins oder zwei“ zeigten immer dasselbe Muster. Die Eroberung von Territorium rechtfertigte alles, Friedensverträge waren nur Mittel zu diesem Zweck, waren Kriegslisten.

In Russland zeigte der Mord an Boris Nemzow ein weiteres Mal, wie weit Russland sich mit jedem weiteren Tag Putin vom Rechtsstaat entfernt hatte. Menschen wurden auf dem Altar entfachter nationaler Eitelkeit geopfert. Heute wie damals wird der Chef einer russischen Motorrad-Gang, die Nachtwölfe, der Gesellschaft in Russland als Vorbild hingestellt. Er wurde mit einem russischen Verdienstorden für nicht genannte Taten für das russische Vaterland geehrt. Er trägt diesen Orden, von Putin persönlich überreicht, stolz auf seiner Rockerkutte. Putin, ihr Ehrenvorsitzender, sagte 2019 über die Gang: „Solche männlichen und coolen Kerle sind jungen Menschen in unserem Land ein Vorbild und zeigen ihnen, wie sie mit Russland umgehen sollten.“ Wie viel tiefer kann der russische Staat noch sinken, lautete die besorgte Frage einiger bereits damals. Andere erklärte das zur nationalen Eigenheit der russischen Kultur, interessierten sich mehr für den Energiereichtum Russland und deren preisgünstige Rohstoffe. Im Jahre 2022 fordern kritische Journalisten eine Aufarbeitung dieser Vorgänge. Es müsse über Vorteilnahme und Korruption damals herrschender Politiker und Wirtschaftsführer nachgedacht werden.

Chancen für eine neue Politik nach Putin

2015 in der Abwesenheit Putins wurden Gedanken laut, es könne eine neue russische Politik sich wieder der wechselseitigen Abhängigkeit der Staaten (Interpendenz) bewusst werden und so leben. Die Aktionen, gemeinsam zum Mond zu fliegen, als Europäer, US-Amerikaner und Russen eine Weltraumstationen gemeinsam zu betreiben, könnten ausgeweitet werden zu einer gemeinsamen Umwelt- und Friedenspolitik. Handlungsbedarf war genügend da, nur fehlte es an willigen Akteuren.

Der ewige Putin

Leider tauchte Putin im April 2015 wieder aus der medialen Versenkung auf. Strahlend erklärte er nichts, aber seine Anwesenheit schien all die zu beruhigen, die der Meinung waren, es sei besser, mit bekannten als unbekannten Faktoren in der Politik zu rechnen. So gelang es Putin, wieder strahlend aufzutauchen und allen zu versichern, er sei der Garant für Sicherheit und Ordnung.  Und vielleicht gestaltet er diesen Auftritt im Jahre 2022 nun wieder an der Seite anderer „lupenreiner Demokraten“.

Putin 2022:  wieder keine Exit – Strategie

Dem russischen Präsidenten Putin fehlt damals wie heute die Exit-Strategie, die Option einer soliden Verrentung. Der Vergleich zur Verrentung eines deutschen Bundeskanzlers macht dieses deutlich. Deutsche Kanzler gehen – im Regelfalle – in die verdiente Rente/Pension. Er/Sie wird mit allen Ehren aus dem Dienst verabschiedet. Die bisherigen Bezüge werden weiterhin – prozentual verringert – ausgezahlt.

So bleiben dem Kanzler – nach korrekter Amtsführung – sein Titel, seine Pension und seine Ehre. Nachforschungen hat er im Regelfalle nicht zu fürchten.  Putin hat dagegen viel zu fürchten. Nach einer regulären Amtszeit oder einer Amtsenthebung hätte er wohl große Probleme, ein Privatvermögen von geschätzten 40 bis 200 Milliarden Dollar zu erklären. Er hätte die rechtlichen Fragen zu beantworten, wer die Hintermänner vieler ungeklärter politischer Morde sind (Nemzow, Politkowskaja z.B.).

Putin kann es sich nicht erlauben, die Macht aus den Händen zu geben. Die Veruntreuung von Staatsgeldern, Beihilfe oder Anstiftung zum Mord oder das bei Putin so beliebte Delikt der Steuerhinterziehung sind nur drei Delikte. All deren Verfolgung kann er nur als Präsident Russlands verhindern.

Kein Persilschein für Putin und Putins Waterloo

Dem russischen Präsidenten und seinem Vorgänger im Amte, Boris Jelzin, stellte Putin 1999 einen „Persilschein“ aus, der ihn und seine Familie vor juristischer Verfolgung schützte. Eine der ersten Amtshandlungen Putins garantierten Jelzin die Freiheit vor Strafverfolgung. Das sei normal, erklärte Putin dazu. Auch der US-Präsident, Richard Nixon, erhielt von seinem Nachfolger, Gerald Ford, einen solchen „Persilschein“ anlässlich der „Watergate-Affäre“.

Doch solche „Putin Retter“ sind zurzeit nicht in Sicht, eine gesicherte Exit-Strategie ist nicht bekannt. Das hat zur Folge, dass Putin weiterhin im Inneren Russlands die Maßnahmen ergreifen und durchziehen muss, die ihn unantastbar machen: eine gigantische Putin- und Kriegs-Werbekampagne und wo das nicht greift, eine skrupellose und effiziente Repression. Die Außenpolitik wird zu einem Instrument dieser Strategie.

Sein Kalkül, solange die Nation sich in der Verteidigung Russlands wähnt oder im „heiligen Kampf für ein Neurussland“, wird sie ihren Feldherren und Führer nicht in Frage stellen. Dabei Einschränkungen im Lebensstandard zu beklagen, käme dem russischen Patrioten kleinlich vor. 2015 hieß es, sollten demnächst Stimmen in Russland zu hören sein, Putin auf Lebenszeit zum Präsident zu wählen, wäre das ein kleiner weiterer Schritt hin zum Zarenthron. Napoleon ließ grüßen.

2022 aber könnte es heißen, Putin überscheitet seinerseits in Russland rote Linien. Die von ihm verlangen Kriegsopfer werden zu groß und das Volk erhebt sich gegen ihn. Putin / Napoleon erlebte dann sein Waterloo.