Migranten als Patienten – was der Zahnarzt und sein Team wissen sollten

Deutschlands Zahnärzte stehen vor einer großen Herausforderung. Heute hat bereits jeder Fünfte in Deutschland eine Migrationsgeschichte. Im Jahre 2050 wird dies schon jeden Zweiten betreffen, sagen die Statistiker. Zurzeit suchen sich viele Patienten mit Migrationsgeschichte eher die Praxen aus, in denen man ihre Kultur und – besser noch – auch ihre Sprache versteht. Auf Dauer kann das nicht funktionieren, weil es immer mehr Patienten mit Migrationsgeschichte geben wird.

 

Gewinner der Veränderungen und Patienten-Check

Gewinner der Veränderungen wird das Zahnarztteam sein, welches das Handwerk der interkulturellen Kommunikation beherrscht. Der Einsatz: bereit sein zu lernen. Der Gewinn: mehr soziale Kompetenz, weniger Ängste, mehr Patienten. Die Stationen der Veränderung sind: die Terminvereinbarung, der Empfang in der Praxis, die Begrüßung, der Umgang mit Schmerzpatienten, die Verhandlung von Leistungen, die Verabschiedung. Das Ziel: Jeder im Team kann ein individuelles Patientenprofil für jeden Patienten entwickeln. Mit dem richtigen Profil entscheidet das Team dann über die richtige Herangehensweise (Approach) an den Patienten. Wer möchte wie angesprochen werden, wer möchte eine Lokalanästhesie, wagt es aber nicht zu sagen, wer hat wirklich Schmerzen und wer glaubt, übertreiben zu müssen? Wer meint Nein, wenn er vielleicht Ja sagt und bei wem ist ein Nein ein deutliches Nein? Wer möchte bei Leistungen des Zahnarztes verhandeln, wer möchte vertrauen? Wem ist die Harmonie wichtiger als die klare Ansprache?

Der Gewinn: mehr soziale Kompetenz, weniger Ängste, mehr Patienten

Was am Anfang schwer erscheint, wird in kurzer Zeit Routine, ob in der Klinik oder in der Praxis. Mit zahlreichen Kliniken erarbeite ich seit einiger Zeit erfolgreich Patientenprofile. Doch auch die Justiz, der Kundenservice von Banken und Energieunternehmen arbeiten orientiert am Einzelkunden.

Die Begrüßung

Mein Zahnarzt gibt mir zur Begrüßung die Hand. Der Druck ist kräftig. Er schaut mir dabei kurz in die Augen, er lächelt. Dann bittet er mich, Platz zu nehmen. Daraufhin fragt er mich kurz, wie es mir geht und was mich zu ihm führt. Diese Begrüßung ist – mit Varianten – die klassische westliche Form und kann im mediterranen/osteuropäischem Raum zu heftigen Missverständnissen führen. Der kulturell geschulte Arzt weiß z.B., dass in manchen mediterranen Räumen der Händedruck völlig fehl am Platze ist, während er in Russland zwischen Männern eher kräftig ausfallen sollte. Das informierte Praxisteam weiß für jeden Patienten die richtige Begrüßung zu finden.

Terminvereinbarung

Auch die Terminvereinbarung ist kein einfaches „Geschäft“. Ich erwarte von meinem Zahnarzt für die Terminvereinbarung ein kurzes freundliches Gespräch mit dem Team. Nach einer freundlichen Begrüßung möchte ich in optimaler Geschwindigkeit Ort und Zeitpunkt bestimmen, kurz und trocken (neutraler Approach). Andere Patienten möchten einen empathischeren Empfang, der Mitgefühl und Harmonie in der Gesprächsführung einschließt. Gewünscht ist das tadellose Aussprechen des Namens – inklusive aller Titel – und Flexibilität bei der Termingestaltung. Mann/Frau möchte schon hier emotional umsorgt werden. Das kundige Team findet für jeden Patienten den richtigen Ton. Das kann man lernen.

Das Angebot

Wer mehr wissen möchte über das Gewinnerteam und ob er/sie/das Team bereits dazugehört, kann einen Praxis-Check durchführen lassen (Schutzgebühr 150 Euro). Schreiben Sie an hagemann-muenster@t-online.de.

Seminar „Migranten sind als Patienten anders und wichtig! Konstruktiver – hilfreicher – achtsamer Umgang mit Migranten/Ausländern“ 

  • Wer möchte wie angesprochen werden?
  • Wer kennt aus seiner Heimat welchen Umgang mit dem Arzt?
  • Wie zeigen Migranten/ausländische Patienten bestimmte Krankheitsbilder an?
  • Was geht gar nicht bei welcher Kultur und was kommt gut an?
  • Welche Rolle spielt die Religion bei Patienten und was ist zu beachten?
  • Wie motiviere ich Eltern und Kinder zum regelmäßigen Arztbesuch?
  • Was tun bei Konflikten (zu viele Besuch, wenig Compliance etc.)?
  • Wie gehe ich mit Ängsten und Schmerzen um?
  • Wer hat Angst vor Spritzen, Bohren etc. – was tun?
  • Wie können/sollen Frauen sich bei Machomännern verhalten?

Sie lernen im Seminar:

  • individuell auf den Patienten einzugehen
  • ihn zu verstehen
  • schnell ein Profil Ihres Patienten mit Migrationsgeschichte/aus dem Ausland zu entwickeln
  • achtsam und effektiv mit dem Patienten umzugehen – praktische Tipps

Interkulturelle Kommunikation erfordert den Handwerker mit Herz!

Interkulturelle Kommunikation ist ein Handwerk! Wer das Handwerkszeug erlernt und beherrscht, kann gut damit arbeiten. Zwei Voraussetzungen müssen gegeben sein: erstens die Bereitschaft zu lernen und zweitens eine positive innere Einstellung. Im Folgenden werde ich einige Handwerkszeuge kurz vorstellen. Klar ist, die Handhabung erfordert mehr Zeit als das Lesen des Artikels, nämlich ein Seminar. Voraussetzung für die Beherrschung des Handwerkszeuges ist die Bereitschaft, andere kulturelle Mentalitäten kennenzulernen, wie z.B. deren Art mit Schmerzen umzugehen oder die Erwartungen vieler Migranten an den „guten“ Zahnarzt und sein Team.

Wichtig ist dabei auch die positive Einstellung des Teams. Ablehnung oder gar Wut gegenüber bestimmten Migrantengruppen können Patienten blitzschnell über die Augen (die Pupille) feststellen und an der Mimik ablesen (facial decoding). Doch auch hier gibt es gutes Handwerkszeug, eine innere positive Einstellung zu erarbeiten. Diese festigt sich im Laufe der Zeit bei guten Erfahrungen und wird zu einer „echten“ Grundeinstellung.

Der Empfang: sagt es mit einem Lächeln?

Gehe ich zu meinem Zahnarzt, empfangen mich die Damen am Tresen mit einem Lächeln und einem Blick in die Augen. So weit die gute westliche Schule, der Knigge der Konventionen. Unsere Körpersprache wird aber von den wenigsten migrantischen Kulturen in Deutschland geteilt. In den meisten Ursprungskulturen der Migranten gilt der intensive Blickkontakt als aufdringlich. Das Lächeln hat eine völlig andere Bedeutung. So gilt z.B. in russischen Behörden, Praxen und Kliniken das Lächeln der Bediensteten gar als Ausdruck unprofessionellen Verhaltens. Lernen Sie, wer welches Lächeln sehen möchte und wer welchen Blickkontakt mag!

Der mündige Patient – der glücklich gelenkte Patient

Es gibt Kulturen, in denen der Patient vom Arzt das Gespräch auf Augenhöhe erwartet. Der Patient möchte eingebunden sein in die Analyse und Therapie. Diese Kultur der Aufklärung, des rationalen Mitdenkens ist ein spätes westliches Ideal. Je höher der Bildungsgrad, je höher die gesellschaftliche Belohnung für Selbstentwicklung, umso mehr wird der Patient dieser Gruppe (individualistisch strukturiert) angehören. Viele migrantische Kulturen kennen Ärzte und deren Helfer als Autoritätspersonen, denen der Patient sich gerne überantwortet. „Großer Bruder“ nennen türkische Männer gerne den Arzt und erwarten Schutz und Geborgenheit, aber keine Mitsprache. Migranten aus der UdSSR kennen und schätzen die klare Ansprache. Alles soll klar geregelt sein, der Arzt ist der Chef (Zeichen der kollektivistischen Kultur). Das Gewinnerteam weiß, wie es die Erwartungshaltung jedes einzelnen Patienten herausfindet und anspricht.

Beim Schmerz scheiden sich die Geister

Viktor Wagner ist stolz auf seinen Sohn. „Der hat keine Miene verzogen beim Zahnarzt“, erklärt er seinen Freunden. Die Familie Wagner gehört zur größten Migrantengruppe in Deutschland. Rund fünf Millionen einstige Sowjetbürger leben heute in Deutschland – und alle ticken unterschiedlich. Für Männer aber gilt (meist): Ein Indianer kennt keinen Schmerz (neutrales Schmerzverhalten).

Memmed Yusüf ist auch stolz auf seinen Sohn. Aber wenn der kleine Kemal zum Zahnarzt geht, dann leidet er laut und seine Mutter scheint die Schmerzen mitzuempfinden, auch sie leidet laut mit. Memmed Yusüf findet das völlig okay. Rund drei Millionen Migranten aus der Türkei leben heute in Deutschland – und alle empfinden unterschiedlich. Für den mediterranen Raum gilt (meist) die Devise: Wer Schmerzen zeigt, steht unter dem besonderen Schutz der Familie (affektives Schmerzverhalten).

In neutralen Kulturen gilt es als cool, keine Gefühle zu zeigen. Die russische Körpersprache ist im Bereich der Mimik eher starr. Wenn z.B. Putin emotional bewegt ist, sieht man das kaum und das ist das Ideal. Es gilt als männlich, Schmerzen auszuhalten ohne eine Miene zu verziehen. Anthropologen sprechen hier von Kennzeichen einer maskulinen Gesellschaft.

In affektiven Kulturen hingegen ist das emotionale Denken normal. Gefühle deutlich zu leben und zu zeigen gilt als natürlich. Der italienische Politiker Berlusconi z.B. lebt Triumphe und Niederlagen deutlich und sichtbar aus. Kann man sich unterschiedlichere Politiker als Putin und Berlusconi vorstellen? Konkret: Der neutrale Patient erwartet vom Arzt, dass er die Schmerzgrenzen an kleinen körpersprachlichen Signalen erkennt. Der geschulte Zahnarzt/sein Team können die kulturell geprägten Reaktionen ihrer Schmerzpatienten unterscheiden und sich darauf einstellen.